Andrea Sick

Muster Forschen.

Konzepte von Muster und Serie in der Kartografie


Anliegen von mir ist es, das Muster hier sowohl als theoretische Figur wie auch als Bildlichkeit zu konstruieren. Insofern kann es als Exempel für Überschneidungen von Theorie und Bildlichkeit funktionieren. Dabei lassen sich Konzepte des Musters mit Konzepten der Serialität verknüpfen, vorausgesetzt es gilt für beide die "Vergleichung" im topologischen Raum als konstituierend für den Entwurf von Reihen und Netzen. Der kantsche Begriff "Vergleichung" zielt dabei auf die Annahme, daß Wechselwirkungen von Sehen und Wissen die Serien und Muster oder auch die Serien von Mustern immer neu herstellen. 

 

 

Zunächst möchte ich einen Zusammenhang zwischen Muster und Kartografie eröffnen: Welche Rolle spielt das Muster für die moderne Kartografie zu der heute sowohl die Verarbeitung von fotografischen Luftbildern als auch die von Satellitenbildern und -daten zählt?

 

Die Kartografie als Verfahrenstechnik beinhaltet immer Übersetzungsverfahren: digitale Aufzeichnungen, fotografische Bilder, Vermessungsdaten und auch Statistiken thematischer Aspekte wie Rohstoffverteilung, Umweltverschmutzung u.a. werden in topologische, grafische Darstellungen, die auch virtuell im Computer vorliegen können, übertragen. Dafür ist entscheidend, daß Luftbilder, Satellitenbilder und Karten großflächige Musterungen zu sehen geben:  Regionen lassen sich leicht auf Grund von unterschiedlichen Musterungen voneinander abgrenzen. Je nach Such-Kriterium und Verfahren werden verschiedene Musterungen "sichtbar".[1]

Luftbilder, Satellitenbilder und Karten zeigen großflächige Musterungen. Regionen lassen sich leicht auf Grund von unterschiedlichen, erkennbar gemachten geographischen Musterungen voneinander abgrenzen. Je nach Such-Kriterium und Verfahren werden verschiedene Musterungen auf den Satellitenbildern oder auch Luftbildern, mit ihrer mosaik- und tapetenartigen Gestalt "sichtbar".

Insbesondere, so wird von der Fernerkundung und Geografie gesagt, sind es geomorphologische und geologische Zusammenhänge, die sich als großräumliches Muster abzeichnen. Diese sind oftmals weder im Gelände noch auf konventionellen Luftbildern zu erkennen. Deshalb werden zunehmend fotografische Aufnahmen mit unterschiedlichen Filtern und Abständen oder auch direkt digitale Aufnahmen, die schon gleich als verechenbares Datenmaterial vorliegen, verwendet.

 

Viele Veröffentlichungen zu dem Themenkomplex "Bilder aus dem All", hier speziell Bilder einer umgekehrten Astronomie, sprechen davon, daß diese Bilder dazu beitragen, etwas sichtbar zu machen. Wie kann man das verstehen? Muß nicht, um etwas sichtbar machen zu können, etwas als "unsichtbar" oder "nichtsichtbar" angenommen werden?

Wie wäre ein solch notwendiger Zusammenhang von "sichtbar" und "nichtsichtbar" bzw. "unsichtbar" zu denken?

 

Wie konstituiert sich ein "Sichtbares"?

Was wird in diesem Kontext als "Unsichtbares" bezeichnet? In Fernerkundung und Kartografie kann man davon ausgehen, daß damit Gegenstände und Beschaffenheiten gemeint sind, die mit bloßem Auge nicht zu sehen wären und erst mit Hilfe optischer Apparate, Datenabtaster und Auswertmaschinen sichtbar bzw. hergestellt werden.

Durch Vergleich von Satellitenbildern bzw. –daten können dann – so wird es in der Kartografie gelehrt - z.B. von Ungeziefer befallene Regionen im Rahmen der Auswertung erkennbar werden, was hier mit sichtbar übersetzt wird. Das heißt auch, so schreibt Dagmar Schmauks, "erst wenn man Daten ganz verschiedener Sachgebiete in einer Karte einträgt, werden Zusammenhänge wie die zwischen Krebshäufigkeit, Luftschadstoffen und Waldschäden wirklich ‚sichtbar‘"[2].

Die Möglichkeit der Sichtbarmachung beinhaltet auch die Grundlage für Prognosen. Während sich zum Beispiel die Verfrachtung von Schadstoffen durch den Wind mit vergleichsweise hoher Sicherheit voraussagen läßt, prüft die Kriminologie mit weit größerer Unsicherheit bei Serientätern, ob die Tatorte ein erkennbares Muster bilden.

 

Auf Satellitenbildern werden Muster erkannt, die Informationen über Katastrophengebiete, Wetter, Waffensysteme, Tatorte etc. geben können. Dies ist wiederum nur möglich, sofern sie aufgrund von schon vorher hergestellten und definierten Mustern bzw. Karten mit solchen identifiziert werden können. Voraussetzung für die Arbeit mit den Satellitenbildern bzw. ihre Auswertung ist ihre Darstellung in Mustern, die eben als Bilder, Zeichen und Worte fungieren. Darstellung meint hier Sichtbarmachung.

 

Voraussetzung dafür, etwas sichtbar zu machen und darzustellen ist also, daß es da etwas "Unsichtbares" bzw. "Nichtsichtbares" gibt, was hervortreten kann (z.B. Wetter), was es eben insofern erst möglich macht, daß da etwas sichtbar werden kann. Es ist die Rede von einer "konstitutiven Unsichtbarkeit", wie sie der Medientheoretiker Christoph Tholen bezeichnet, "die das Sichtbare oder Zeigbare – rahmensetzend – allererst eröffnet, indem es sich diesem Rahmen entzieht"[3]. Konsequenz davon ist, so Tholen, daß die Dinge nie vollständig in unserem Gesichtfeld auftauchen: "keine Erscheinung ist ohne das ihr vorgängige Zu-Erscheinen-Geben denkbar. Diese Einsicht ist eine implizit medientheoretische: Das Sichtbare als Sichtbares entspringt einem Horizont nur, indem das diesen Horizont markierende Nicht-Sichtbare, Horizontlose sich zurückgezogen hat. Wo immer sich etwas als etwas ex-poniert, hat eine abwesende Lücke oder Differenz der Wahrnehmung eine momentane, imaginäre Gestalt und Identität gegeben. Keine Präsenz wäre ohne die sie einräumende Absenz aussagbar. Die Anwesenheit unseres Sehens verdankt sich der Abwesenheit des Blicks, der entzogen bleibt, damit es überhaupt etwas- als Ausschnitt zu sehen gibt. Dieser Rand des Gesehenen, der Rahmen, kommt im Gesichtsfeld nicht vor, existiert als Zäsur nur, indem diese ihrer eigenen Selbstgegenwart vorgängig bleibt."[4]

Im Anschluß an Tholens Überlegungen kann man sagen, etwas als etwas zu exponieren, was heißt sichtbar zu machen, wäre ohne das Nichtsichtbare, die Lücke, die Differenz der Wahrnehmung nicht möglich.

 

Diese doppelbödige Konstellation, die immer wieder meine Ausführungen in Bewegung bringen werden, soll als theoretische Grundlage fungieren, mit der ich mich erneut kartographischen Schriften zuwenden möchte: Optische Apparate, Datenabtaster und Auswertverfahren exponieren ein Sichtbares, was z.B. das Muster eines absterbenden Fichtenwaldes wäre. Diese Prämissen oder Rahmenbedingungen der Exposition kommen aber im Gesichtsfeld, das heißt, im sichtbaren Sehen nicht vor. Man könnte sagen: sie bleiben ihm als Zäsur vorgängig.

Das sogenannte"Unsichtbare" wird also sichtbar durch verschiedene Aufnahmetechniken sowie die Auswertungsverfahren, wobei entscheidend ist, daß ausgehend von der heute zumeist vornehmlich digitalen Abtastung und Verarbeitung, deutlich werden kann, inwiefern eine klare Grenze zwischen Aufnahmesystem und Auswertung kaum zu treffen ist. Ausgehend von einer Analyse des digitalen Systems, welches die Bilder immer schon als Datenmaterial vorliegen hat, und so die Unterscheidung zwischen Aufnahme und Auswertung verschwinden läßt, können auch die analogen Verfahren von einer solchen Unterscheidung letztendlich absehen. Denn die Auswertung bzw. ihr Ziel bestimmen schon immer im Vorfeld die Aufnahmeverfahren, die Wahl des Ausschnitts, das Datum der Aufnahme, die Uhrzeit u.a. Die Sichtbarkeit stellt sich durch ein Wechselspiel von Aufnahmesystem und Auswertverfahren ein, die keine klaren Grenzen haben.Das Wechselspiel selbst ist im Sichtbaren nicht mehr zu sehen. Es tritt so nur als"mediale Zäsur" einer Vorgängigkeit hervor, die auch das Muster betrifft.[5] Von diesem Wirkungszusammenhang ist abhängig, was sichtbar wird und insofern auch, was als unsichtbar bezeichnet wird.

 

Muster wären so das, was zu exponieren ist. Sie müssen auf den Satellitenbildern sichtbar werden und können dann als Bilder, Zeichen und Worte im Rahmen der Auswertverfahren entziffert werden. Um sie sichtbar machen zu können, um sie letztendlich erkennen zu können, müssen sie identifiziert werden mit schon vorher erkannten Mustern. Dieser Prozeß kann als mediale Zäsur der Vorgängigkeit oder auch als Zäsur des technischen, was allerdings in seiner historischen singulären Instrumentierungen nicht aufgeht[6], verstanden werden. Ich will schon jetzt resümieren:  Die Auswertung von Satellitenbildern selbst trägt wieder zur Herstellung von Karten und Mustern bei, die schon dagewesen sind. Das eröffnet einen wechselwirksamen Kontext für die Kartographie und ermöglicht Verfahren wie die"Mustererkennung" (Pattern recognition) in Beziehung zu setzen mit Aufnahmetechniken und theoretischen Überlegungen zur Wechselwirkung von Sehen und Wissen, die das Scheitern einer Darstellbarkeit "wissenschaftlicher Evidenzen" markieren. Das Muster dient als theoretische Figur, die Vorgängigkeit des Medialen als Zäsur zu bezeichnen.

Anhand des Begriffs "Muster" soll der Vielschichtigkeit dieses Komplexes nachgegangen und der Rand des Sichtbaren gewissermaßen dargelegt werden. Dabei stehen die Begriffe "erkennen", "sichtbar" und "unsichtbar" – werden sie im Kontext informationswissenschaftlicher und wahrnehmungstheoretischer Diskurse gelesen - in engem Zusammenhang zu dem, was ich als das "Paradox des Musters" oder auch als die Doppelbewegung der Repräsentation (sich zeigen/verweisen)[7] bezeichne. Die immer medial[8] hergestellten wissenschaftlichen Evidenzen versuchen sich Gültigkeit zu verschaffen. Man könnte auch sagen, das Muster entfaltet in seiner Wirkungsweise Effekte an der "Grenze der Repräsentation". In dieser wird die Karte als Prozeß der Umwandlung (Dissipation) beschrieben sein. Das gilt sofern sie– wie ich annehme– auf die Prinzipien des Musters baut.

Zunächst soll das "Muster" als theoretische Folie hinsichtlich seiner sich in der Etymologie eröffnenden Bedeutung von "zeigen" und "sich zeigen" hergestellt werden. Von dort aus können sich dann Referenzen zwischen Karte und Muster herausstellen– als Kartenmuster an der "Grenze der Repräsentation", wie sich zeigen wird.

Muster kommt von lat. "monstrare", was soviel wie "zeigen" und "hinweisen"[9] heißt. Davon entlehnt ist das italienische "mostra" mit den Bedeutungen von "Zeigen", "Sehen lassen",[10] "Schaustellung", "Ausstellung"[11], "Probestück". [12]Zu dem lateinischen "monstrare" gesellt sich noch das altfranzösische "monstrare" mit der Bedeutung von "was vorgewiesen wird, Probe"[13]. Das Adjektiv "musterhaft" und das Verb "mustern" werden von dem "Muster" abgeleitet.

Deutlich wird an diesen etymologischen Zusammenhängen, daß das Muster "zeigt" und "hinweist". Das Muster läßt sich also sehen, bzw. zeigt sich. Es läßt sich sehen, wenn einzelne Motive kombiniert und wiederholt werden, zufällig oder absichtsvoll. Und zugleich verweist es auf etwas außerhalb (oberhalb)  seiner selbst.

Ein bestimmtes Muster weist auf etwas hin. Dieses "Hinweisen" könnte auch mit "repräsentieren" oder "anzeigen" übersetzt werden. Z. B. in der "Naturerkennung" weist das Muster eines Blattes auf einen bestimmten Baum, das Muster auf dem Rücken eines Käfers auf eine bestimmte Käferart, das Muster eines Steines auf eine Gesteinsart, das Muster der Wolken am Himmel auf die Wetterlage. Die verschiedenen Muster stehen hier in den Beispielen für Verortungen innerhalb eines Klassifikationssystems von Gattungen und Arten (Käferarten, Gesteinsarten, Wolkenarten bzw. Wetterlage), welches die "Natur" systematisieren will.

Während diese "Natur-Muster" alle auch mit bloßem Auge erkennbar sein können, können seit der Photographie und erst recht seit der digitalen Bildverarbeitung – vornehmlich eingesetzt in Produktionstechnik, für Umweltprognosen, in der  Medizin und beim Militär bestimmte spezifische Muster im Rahmen eines vielschichtigen Übersetzungsverfahrens erkannt werden: z.B. werden auf einem Satellitenbild ein tätiger Vulkan oder andere Umweltkatastrophen erkannt oder es können Musterungen auf einer Computertomographie oder einer Kernspintaufnahme auf einen Tumor oder andere organische Defekte hinweisen bzw. sichtbar gemacht werden.

Die Doppelbewegung des Musters: das "Sich Zeigen" (als spezifische Form und Reihenfolge) und das "Verweisen" (z.B. auf eine Umweltkatastrophe) wird von mir als  "Paradox des Musters" bezeichnet. Dies kann als Folie dienen, die Bedingungen der diskursiven Formationen, die ein Klassifikationssystem von Arten, Gattungen, Katastrophen und Defekten herstellt, offenzulegen. Oder auch anders formuliert: "die Beziehungen zwischen Serien zu beschreiben, um so Serien von Serien oder Tableaus zu konstituieren."[14]

Eine genauere Analyse des "Musters", die vom Wort und seiner Bedeutung ausgeht kann hierzu beitragen. Grundlage bilden verschiedene Lexikonartikel, die insbesondere drei Bedeutungsfelder  des "Musters" hervorheben:

Mit Muster bezeichnet man dort zum ersten eine Vorlage (Modell) nach der etwas gefertigt wird. Das Kompositum Vorlage aus "vor" und "Lage"  spricht ein (vor) und topologisches (Lage) Verhältnis an. Die "Vorlage" bestimmt zeitliches "ein Vorher", bestimmt im Vorfeld die räumliche Lage, sie gibt an, wie die räumliche Verteilung hergestellt oder ausgeführt werden soll. Das Modell, was das Muster ist, bestimmt so im voraus die topologischen Relationen, geradezu vergleichbar mit einer Gebrauchsanweisung oder besser noch, die Bildlichkeit hervorhebend, einer Schablone. Will es als solche fungieren, muß sie – die Schablone - schon immer vorher dagewesen sein. Das heißt, soll ein vorbildliches Stück hergestellt werden, gibt das Muster vor, wie es gemacht werden sollte. Nicht nur im Sinne einer Zeichensprache, die die Reihenfolge von Merkmalen übersetzt – man denke z.B. an Transkriptionen von Strick- oder Stickmustern in Strich- und Punktcodes,  sondern als Vorgabe von Maßverhältnissen. Am exponiertesten ist hier vielleicht das Schnittmuster, nach dem ein Kleid, eine Hose etc. geschneidert werden kann. Das Muster wird folgendermaßen entworfen: Es werden verschiedene Segmente angenommen. Davon ausgehend wird am Träger maßgenommen, festgelegte Abstände, z.B. vom Halsansatz zum Armansatz oder der Umfang von Brust und Taille werden gemessen, um Proportionen entwickeln zu können, und um ein auf den Träger zugeschneidertes Schnittmuster auf Papier zu erhalten. Das Schnittmuster wird auf den gewählten Stoff übertragen– ein maßgerechtes Übersetzungsverfahren, das auf zeitlicher Ebene von vorher bestimmten örtlichen bzw. topologischen Markierungen oder Punkten ausgeht. Das Muster zeigt das aus Körperpunkten maßgenommene Modell der Körperform.

Das heißt: das Muster stellt Modelle vor oder aus, in dem es die entsprechenden Anordnungen wiederholt. Es ist insofern Vorlage. Nach ihm wird etwas anderes (z.B. das Kleid, die Karte) wiederum erstellt. Es wiederholt Anordnungen, die dazu dienen wiederholt zu werden. Dafür wird es herausgegriffen, ausgewählt, erkannt,  gebildet und eben wiederholt. Hier ließe sich auch das Bedeutungsfeld des Verbs "mustern" anschließen. Jemanden oder etwas zu mustern könnte heißen: etwas oder jemand wird überprüft anhand eines Modells bzw. anhand von modellhaften Daten. Die Musterung mustert bzw. hebt heraus (z.B. Wehrdienstpflichtige) und bezeichnet gleichzeitig eine bestimmte Reihenfolge und Kombination von Zeichen. Sie steht also einerseits für eine Handlung: die Auswahl anhand von (vorherigen mustergültigen) Modellen und andererseits für die Spezifizierung der Reihenfolge und Form von verschiedenen sich wiederholenden Zeichen. Das Bildmuster kann so als die Regelhaftigkeit der räumlichen Anord-nungen von Erscheinungen verstanden werden. Es bezeichnet eine Topologie.


In einem weiteren – dem ersten sehr naheliegenden zweiten Bedeutungsfeld  fungiert das Muster als Vorbild. Ein Muster  wäre etwas Vollkommenes, Ganzes, ein Bild, nach dem ein Bild zu machen wäre oder auch ein Bild vor dem Bild  - mit Kant gesprochen ein "bildloses Bild" bzw. eine "negative Darstellung". Insofern kann es auch herhalten als Probestück oder besser Warenprobestück. Letzteres wäre ein Gegenstand, der die Beschaffenheit einer Ware oder die Wirkung bei ihrer Verwendung kennzeichnen soll. Es kann aber auch eine Warenprobe sein– z.B. kann das Muster auch ein von einer größeren Menge entnommenes Stück oder ein kleiner Teil eines Größeren sein, welcher zur Prüfung oder zur Veranschaulichung dient. Man denke auch an Bücher mit Tapeten- und Stoffmustern, die dem Innenausstatter vorgelegt werden.

Traditionsgemäß ordnen sich all die Muster im Musterkoffer des Handlungsreisenden. Den erwartungsvollen Augen des möglichen Käufers demonstriert der zu Verkaufszwecken Reisende das Probestück, dieses Stück aller Vorbildlichkeit z.B. eines wunderbaren Staubsaugers, der verspricht jedes Staubkorn in großer Geschwindigkeit und mit großer Zugkraft, ohne erneutes Aufwirbeln von Staubkörnern, einzusaugen und so die Böden und Polster vom Staub zubefreien. Das Mustergerät führt diese Zaubertat auch prompt der erstaunten Kundin vor. Umgehend wird sie zur Käuferin.

Aber hier interessiert nicht der Staubsauger und wie er staubige Gebiete in staubfreie verwandelt oder zaubert, sondern eben sein musterhafter Charakter. Er, das Stück aller Vorbildlichkeit, ein Muster von Staubsauger. Das Muster wäre jetzt also Vorbild eines für die Kundin auf Lager liegenden Warenstücks. Findet die Kundin am Muster gefallen, wird dies bestellt.

Aber was sie erhält ist nicht das Muster, sondern im positivsten Fall ein mustergültiges Äquivalent des Musters. Der Irrtum der enttäuschten Kundin könnte sein: das Muster wurde mit einem Original verwechselt. Denn nur ein Original kann eine Kopie – mit all ihren hundertprozentigen Ansprüchen -  hervorbringen. Ein Muster wird doch eher transformiert oder übertragen. Dem Original dagegen ist seine Einmaligkeit eigen, der Originalität ihre Eigentümlichkeit. Ein originales Muster wäre eines, was ursprünglich und zugleich einmalig wäre. Und fehlt ihm – dem Muster -  nicht die dem Original so gerne zugeschriebene "wesenhafte Eigentümlichkeit", da es immer schon Abstraktion ist, eine Vorlage, ein topologisches Modell, eben eine Transformation? Das Original hingegen bleibt getrieben von der Ursprungsfrage, wird geradezu von dieser bedrängt, von dem Gedanken eines "ersten", während das Muster als allgemeingültiges Modell gar nicht am Ursprung bzw. als "erstes" stehen könnte.

Nun könnte man, bezogen auf die Landschaftstopologie, annehmen– was die Kartosemiotik auch tut -, die Karte wäre das Muster und die Landschaftssegmente das Original.

Die Kartosemiotik sagt hierzu, daß Karten in gewisser Hinsicht immer informativer sein können als ihre Originale und die wären hier die Landschaft. Denn so die Begründung: "da man Landschaften immer nur partiell wahrnimmt, ist ihre Gesamtstruktur nur auf einer Karte oder einem Modell erkennbar."[15]

Und für dieses kartographische Verständnis bemühte sich schon Peirce in seinen semiotischen Schriften zur Diagrammatik um eine Erklärung:

"Kommen Sie mein Leser, wir wollen ein Diagramm konstruieren, um den allgemeinen Verlauf des Denkens zu veranschaulichen. Ich meine ein System der Diagrammatisierung, durch das jeder Verlauf des Denkens mit Genauigkeit dargestellt wird.

Doch warum sollten wir das tun, wenn uns das Denken selbst gegenwärtig ist? Auf diese Frage lief im wesentlichen der Einwand hinaus, der von ein oder zwei überlegenen Intelligenzen erhoben wurde, darunter ein ruhmreicher und bedeutender General.

Zurückgezogen wie ich lebe, hatte ich nicht die Gegenfrage parat, die hätte lauten müssen: ‚General, ich glaube, daß Sie während eines Feldzuges Landkarten verwenden. Warum sollten Sie das tun, wenn das Land, das sie darstellen, doch genau dort vor ihnen liegt?‘ Daraufhin, wenn er entgegnet hätte, er könne auf den Karten Einzelheiten erkennen, die weit davon entfernt seien, genau vor ihm zu liegen, sie befänden sich nämlich innerhalb der feindlichen Linien, hätte ich ihm die Frage entgegenhalten sollen: ‚Habe ich also recht, daß dann, wenn Sie durchgängig und vollkommen mit dem Land vertraut wären, wenn beispielsweise die Szenen ihrer Kindheit sich gerade hier abgespielt hätten, keine Karte für Sie den geringsten Nutzen hätte, wenn Sie Ihre detaillierten Pläne entwickeln?‘ Darauf hätte er nur entgegnen können: ‚Nein, das habe ich nicht gesagt, da ich wahrscheinlich Markierungsnadeln einstecken möchte, um so die voraussichtlichen täglichen Veränderungen in den Stellungen der beiden Armeen zu markieren.‘ Daraufhin hätte dann wiederum meine Entgegnung sein sollen: Gut, General, dies entspricht genau dem Vorteil eines Diagramms für den Verlauf einer Diskussion. Tatsächlich besteht genau darin, worauf Sie so klar hingewiesen haben, der Vorteil von Diagrammen im allgemeinen. Wenn ich nämlich die Sache einmal auf ihre Art beschreibe, kann man mit einheitlichen Diagrammen genaue Experimente anstellen. Und wenn man das macht, muß man mit erhöhter Wachsamkeit auf unbeabsichtigte Veränderungen achten, die dabei in den Relationen der unterschiedlichen bedeutungsvollen Teile des Diagramms zueinander herbeigeführt wurden. Solche Operationen mit Diagrammen, ob äußerlich oder vorgestellt, treten an die Stelle der Experimente mit wirklichen Dingen, die man in der chemischen und physikalischen Forschung durchführt. Chemiker haben oft, was ich nicht erwähnen muß, das Experimentieren als ein Stellen von Fragen an die Natur beschrieben. Ebenso sind Experimente mit Diagrammen Fragen, die der Natur der betreffenden Relationen gestellt werden."[16]

Wäre also, wie die Kartosemiotik sagt, das Original das Land und die Karte das Diagramm, so wäre das Muster die Relation zwischen Land und Diagramm, wobei dem Diagramm inhärent wäre, immer schon die Frage nach den Relationen zu stellen. Insofern käme die "Mustererkennung" dem Experiment mit dem Diagramm, welches Vergleiche vornimmt und insofern eine Vergleichung im topologischen Raum konstituiert, gleich.

Bevor die Frage nach dem Original, dem Muster und der Vergleichung noch weiter ausgebaut wird, zunächst aber noch einmal zum Muster und seinem dritten Bedeutungsfeld, welches Erzeugnissen serieller Verfahrensweisen zunächst am augenfälligsten zu gleichen scheint:

Grundsätzlich gilt für ein Muster: Ist da ein Muster– Vorlage und Vorbild -, kann es wiederholt, in einer Reihe angeordnet werden. Ganze Serien von Motivfolgen können das Muster bestimmen, welches sich in der Reihenfolge einer Motivanordnung zeigt. So eröffnet sich für das Muster ein drittes Bedeutungsfeld, welches sich zum Beispiel als Fläche wiederholender Verzierungen oder Motiven (z.B. Blumen-, Phantasie-, Stoff-, Tapeten etc.) zeigt . Eine Reihenfolge von links nach rechts, die sich vervollständigt von oben nach unten und umgekehrt.

Das Muster läßt sich sehen, wenn einzelne Motive regelmäßig kombiniert und wiederholt werden. Die Motive können Verzierungen, ornamentale Konstruktionen wie auch  figürliche Bildelemente sein. Das einzelne Motiv eines Musters kann, sofern für das Motiv gilt, zugleich Teil des Musters und Muster zu sein, als "Bild" funktionieren. Das bedeutet, das Muster selbst kann als "Bild" bezeichnet werden. Dabei kann sich das Muster auch aus einer Bilderfolge zusammensetzen, die sich wiederholt. Die einzelnen Bilder oder Motive strukturieren in einer gleichbleibenden Reihenfolge die Fläche z.B. einer Tapete.

Die Größe der sich immer wiederholenden Gesamtmuster werden in der Tapetentechnik und– geschichte als "Rapport" bezeichnet. Das Muster wird also durch den "Rapport" bestimmt, bemessen und angepasst. Der Seitenrapport ist die Breite der Tapetenbahn oder ein Bruchteil der Breite. Der Höhenrapport entspricht dem äußeren Umfang der Druckwalze oder einem Abschnitt davon. Der Rapport selbst fordert die Überprüfung wie das Muster verläuft, so auch z.B. ob die Druckwalze gerade verläuft und das Muster bzw. die Farben in den Konturen liegen etc..

Er– der Rapport - ist das hervorhebare korrekte Muster oder Motiv, welches sich auf Geweben, Teppichen und Tapeten ständig wiederholt. So heißt auch "rapportieren", sich als Muster oder Motiv ständig zu wiederholen und wäre so als mustergültiges serielles Verfahren zu bezeichnen.

Der Rapport bezeichnet aber nicht nur das korrekte Muster sondern auch seine nahtlose Grenze: Die Muster einer Tapete werden nicht nur längs auf einer Bahn sondern ebenfalls nebeneinander von Bahn zu Bahn angefügt um die Tapetenfläche auf der Wand herzustellen. Der Ausdruck Rapport wird auch für das Passen der Ansatzstellen eines Musters verwendet. Die Ansätze werden so gesetzt, daß sie sich zu einem ganzen Muster in gehabter Reihenfolge wieder zusammenfügen. Er bezeichnet also die Grenze, den Ansatz oder den Übergang von einem Musterende zum nächsten Musterende.

Schwieriger wird es, werden die Muster konturlos, sind die Motive nicht so einfach hervorhebbar zugunsten der Flächenwirkung. Feine Musterungen können auf Tapeten den Anschein erwecken, als ob sie "rapportlos" wären: das entsteht, wenn die Motive in einer ganz bestimmten Stellung zueinander wiederkehren oder gilt auch für Kleinmuster, Nadelstreifen, Stries, Unis, bei denen geradezu Motive nicht vereinzelbar sind. Solche Muster können den Eindruck einer Fläche vermitteln, so, als ob ein solches Muster keinen "Rapport" hätte.[17]

Nahtlose Grenze und klare erkennbare Konturen bestimmen den Rapport eines Musters. Das heißt die Übergänge und Nachbarschaften des Musters sind in jedem Fall von entscheidender Bedeutung.[18]

Ein Flächenmuster entsteht genau dann, wenn einerseits die einzelnen Motive erkannt und diese gleichzeitig zusammen als Fläche gesehen, gewissermaßen "zusammengefaßt" werden, indem die Regelmäßigkeit ihrer Wiederholung nachvollzogen wird. Es kommt auf die geregelte Wiederholung an. Folglich kann ein sondierender Blick klar umfassbare Formen von der Fläche abheben und das einzelne Muster entwerfen sowie eine Motivstatistik ausweisen. Das Muster, welches sich sehen läßt – als einzelnes und auch in seiner Zusammenfassung -  muß erkannt werden.

Die Wechselwirkung von Sehen und Wissen im Paradox des Musters läßt sich noch eingehender entwickeln, anhand einer genaueren Verknüpfung mit Funktionsprinzipen der Mustererkennung in der digitalen Bildverarbeitung.

Erklärtes Ziel der Forschung in der Mustererkennung ist es, die Wahrnehmungsfähigkeit des Menschen zu simulieren; dabei wird davon ausgegangen: Strukturen in Bildern bilden Muster. Die Entscheidung, ob ein Muster ein bestimmtes Objekt darstellt, erfolgt auf der Basis einer ausreichenden Ähnlichkeit mit Bekanntem. Die Frage, wie werden die Muster erkannt, verschiebt sich zu: wie werden die Muster hergestellt und identifizierbar.

In der digitalen Bildverarbeitung und KI-Forschung wird "Muster" für ein einzelnes Merkmal aus einem definierten Problemkreis bezeichnet. Voraussetzung ist, daß es als Funktion von Meßgrößen zu beschreiben ist.[19] Klassen ergeben sich durch Zerlegung des Problemkreises in Untermengen. Bei einer sinnvollen Zerlegung sollen sich die Muster innerhalb einer Klasse ähneln.  Als Bildmuster versteht man – wie schon gesagt - die Regelhaftigkeit der räumlichen Anordnung von Erscheinungen. Zum Beispiel eine kleinparzellierte, mit Sonderkulturen bestandene Agrarfläche weist ein ganz anderes Muster auf als eine Getreidelandschaft oder ein Weidegebiet. Eine Serie von Standwällen zeigt ein typisch streifiges Muster, das sich deutlich von dem weitflächigen Muster einer Mangrove oder Schwemmlandebene absetzt. Gewässernetze, Kluftnetze, bestimmte Oberflächenformen und Vegetationsformationen sowie geoökologische Einheiten bilden typische Luftbildmuster. Entscheidend ist: Das  Muster dient zur Abgrenzung von Raumeinheiten; denn wiederkehrende gleiche oder ähnliche Muster sind meist ein Hinweis auf einen "ursächlichen" Zusammenhang und können Regionen bilden, Problemkreise strukturieren und topologische Verhältnisse ermöglichen.[20]

Für das "maschinelle Sehen" gilt: erkennen aus Bildern bedeutet, "einzelne Objekte", welche sich in einem Raster aus vielen Bildpunkten bilden, zu entdecken. Dabei wird von dem Ordnungsprinzip der Nachbarschaft ausgegangen, welches folgende Kriterien zur Erkennung bestimmt: Kanten und Konturen, Texturen, Farbe, Abstand und Bewegung.[21] Diese Kriterien sind auch für die drei unterschiedlichen Methoden der Mustererkennung entscheidend: die Klassifizierung von einzelnen Pixeln auf Grund von extrahierten Merkmalen (z.B. spektrale Merkmale), das Zusammenfügen und Generalisieren von komplexen Mustern durch Auswahl von sogenannten Muster-Primitiven auf Grund von Regeln und das Beschreiben der Muster durch ein Regelsystem der formalen Logik mit einem Wenn/Dann-Teil, d.h. mit automatischen Schlußfolgerungen, die sich aus Fakten und Zuständen ableiten.[22]

Deutlich wird an den drei Verfahren, die ineinandergreifen, daß sie allesamt die Paradoxie des  "Musterpinzips" aus der Doppelbewegung des "sich Zeigens" einerseits und des "Verweisens" andererseits nicht umgehen können.[23]

Die Nachbarschaften regionalisieren die Muster, die als Vergleichs- bzw. Entscheidungsgrundlage für Muster gelten. Wir entscheiden auf Grund der Muster-Wiedererkennung nach Ähnlichkeiten, ob ein Muster ein bestimmtes Objekt darstellt. Diese Entscheidung folgt auf der Basis einer ausreichenden Ähnlichkeit mit bekannten Mustern. Um Ähnlichkeiten festzustellen, d.h. serielle Verfahren rekonstruieren zu können,  müssen Vergleichsgrundlagen sortiert und klassifiziert (in symbolischer Form) vorliegen – als Vorlage. Es ist ganz einfach:  Muster müssen vor Mustern sein.

Das setzt voraus: das Muster funktioniert nicht nach Prinzipien der Nachahmung. Hiervon geht auch Derrida in seiner Lektüre zu Kants "Kritik der Urteilskraft" aus. Er schreibt in "die Wahrheit in der Malerei": "Von daher kann das oberste Modell, das höchste Muster nur eine Idee sein, eine einfache Idee, die jeder in sich selbst hervorbringen und nach dem er alles beurteilen muß was Gegenstand von Geschmack ist. Es bedarf eines Muster, aber ohne Nachahmung. So ist die Logik des Exemplarischen, wobei der metaphysische Produktionswert immer die doppelte Wirkung hat, die Historizität zu eröffnen und zu verschließen."[24] Die Doppelbödigkeit, die Derrida hier für das "Exemplarische" bzw. die exemplarische Produktion in Bezug auf ein Geschmacksurteil entwickelt, ist analog lesbar zu dem, was von mir als "Paradox des Musters" bezeichnet wird. Derrida schreibt weiter: "Die Selbsthervorbringung des Musters (Schablone, Paradigma, Parergon) ist die Hervorbringung von dem, was Kant Idee nennt (...)".[25] Das Muster  als Schablone, Paradigma oder Parergon, stünde hier in der Logik eines "Exemplarischen" mit doppelter Wirkung dessen Effekte sich in der Doppelbewegung von "zeigen" und "sich zeigen" äußern. Hierfür bedarf es eben "Muster ohne Nachahmung" oder anders formuliert: eines "obersten Modells". Dieses wäre auch als ein Maximum (Allgemeines, Höchstes) zu bezeichnen, welches selbst eine Paradoxie in sich birgt, denn es kann wie Kant sagt, nur in einer einzelnen Darstellung vorgestellt werden. Es wird in einem Exemplarischen (Muster) hervorgebracht.[26] Ein Muster wird immer vom Muster bestimmt sein. Eine Serie sucht immer nach den Exemplaren. Denn um Muster zu erstellen und Serien zu entwickeln, müssen sie– die Muster– erkannt werden als Muster. Das heißt: das Muster wäre stets in Serie. Insofern kann man auch sagen, das Muster operiert an der Grenze der Repräsentation. Genau hier kommt das Paradox des Musters zur Wirkung. Ich möchte jetzt noch genauer herausarbeiten, was Kant und mit ihm auch Derrida und Lyotard als das Exemplarische bzw. das höchste Muster entwerfen und inwiefern dieses die Operation der Mustererkennung an der Grenze der Repräsentation bestimmt.

Lyotard findet das "Erhabene" bei Kant als Motiv und Gefühl, welches den Widerstreit initiiert und an der Grenze der Repräsentation steht, eher gesagt die Grenze selbst ist. Die Grenze oder der Widerstreit zeigen die "undarstellbare Präsenz des Absoluten" an, wie es Lyotard formuliert. Werden gewissermaßen die Schranken der Einbildungskraft gesprengt und "eine Darstellung des Unendlichen"[27] versucht, endet dieser Versuch in einer "negativen Darstellung"[28]. Sie ist, wie es Lyotard weiter formuliert, negativ im Hinblick auf das Sinnliche, aber doch zugleich ein Darstellungsmodus, "eine Darstellungsart". Kant schreibt: "(...) denn die Einbildungskraft, ob sie zwar über das Sinnliche hinaus nichts findet, woran sie sich halten kann, fühlt sich doch auch eben durch diese Wegschaffung der Schranken derselben unbegrenzt: und jene Absonderung ist also eine Darstellung des Unendlichen, welche zwar eben darum niemals anders als bloß negative Darstellung sein kann, die aber doch die Seele erweitert."[29] Lyotard bezeichnet diese Struktur als "Präsenzmodus des Absoluten"[30]. Das spezifische an diesem Modus sei, daß er "zurückgenommen" oder"abgezogen" ist und daß die Darstellung, die er liefert in einer"Absonderung" oder"Abstraktion" besteht. Abgesondert ist das Dargestellte, weil es einen Sonderstatus hat, der das normale Maß überschreitet, da es von der Einbildungskraft abfällt. Lyotard schreibt:"‘Die negative Darstellung‘ ist in diesem Sinne nur die Demonstration, daß die Forderung, das Absolute darzustellen, sinnlos ist. Indem sie von den ihr eigenen Grenzen der Darstellung absieht, deutet die Einbildungskraft die Präsenz dessen an, was sie nicht darstellen kann. Sie entgrenzt, entfesselt, entzieht sich dabei aber ihrer eigenen Zweckmäßigkeit."[31]

Diese "abgezogene Darstellungsart, die in Ansehung der Sinnlichen gänzlich negativ wird"[32], kann im Kontext der Vergleichung gedacht werden, wie sie mit dem kantschen Erhabenen konstituiert wird.

Erkennen fordert immer die Vergleichung, schreibt Kant in der "Kritik der Urteilskraft".[33] Hier soll nun das mathematische Erhabene in Bezug auf Maßverhältnisse und Vergleichung im Rahmen von seriellen Verfahren interessieren. Das Paradox des Musters soll als Vergleichungsproblem formuliert werden.

Die"Analytik des Mathematisch-Erhabenen" bestimmt unter der Kategorie der Quantität die Synthese und ihre Verfahren der"Auffassung" und der "Zusammenfassung", die auch gedacht werden können als Verfahren der Abstraktion, die an der Grenze der Repräsentation operieren.

Die Maßverhältnisse des mathematischen Erhabenen" die aus Vergleichung entstehen, können zum "Erkennen" eines Musters führen. Das kantsche "mathematische Erhabene" bezieht sich,  "auf Gegenstände der Anschauung, die so groß sind, daß sie nicht gemessen oder von der Einbildungskraft synthetisiert werden können. Angesichts dieser Unfähigkeit von Einbildungskraft und Verstand, die Mannigfaltigkeit der Vorstellungen zu synthetisieren, wird – in dem kritischen Vokabular bleibend – die Vernunft aktiviert. Durch sie werden die Vorstellungen auf die Idee der Totaltität bezogen".[34]

 

 

Insofern schreibt Kant vom "mathematischen Erhabenen": "Wie groß es aber sei, erfordert jederzeit etwas anderes, welches auch Größe ist, zu seinem Maß. Weil es aber in der Beurteilung der Größe nicht bloß auf die Vielheit (Zahl), sondern auch auf die Größe der Einheit (des Maßes) ankommt, und die Größe dieser letzteren immer wiederum etwas anderes als Maß bedarf, womit sie verglichen werden könne: so sehen wir: daß alle Größenbestimmung der Erscheinungen schlechterdings keinen absoluten Begriff von einer Größe, sondern allemal nur einen Vergleichungsbegriff liefern können."[35] (...) "Die Größenschätzung durch Zahlbegriffe (oder deren Zeichen in der Algebra) ist mathematisch, die aber in der bloßen Anschauung (nach dem Augenmaße) ist ästhetisch. Nun können wir zwar bestimmte Begriffe davon, wie groß etwas sei, nur durch Zahlen (allenfalls Annäherungen durch ins Unendliche fortgehende Zahlenreihen) bekommen, deren Einheit das Maß ist; und sofern ist alle logische Größenschätzung mathematisch. Allein da die Größe des Maßes doch als bekannt angenommen werden muß, so würden, wenn diese nun wiederum nur durch Zahlen, deren Einheit ein anderes Maß sein müßte, mithin mathematisch geschätzt werden sollte, wir niemals ein erstes oder Grundmaß, mithin auch keinen bestimmten Begriff von einer gegebenen Größe haben können. Also muß die Schätzung der Größe des Grundmaßes bloß darin bestehen, daß man sie in einer Anschauung unmittelbar fassen und durch Einbildungskraft zur Darstellung der Zahlbegriffe brauchen kann: d.i. alle Größenschätzung der Gegenstände der Natur ist zuletzt ästhetisch (d.i. subjektiv und nicht objektiv bestimmt)."[36] Das heißt aber auch, daß letztendlich alles Mathematische doch ästhetisch gebunden ist auch wenn es für das Mathematische eigentlich kein Größtes gibt (denn die Zahlen gehen ins Unendliche) und aber für das Ästhetische ein Größtes immer vorhanden sein wird. Dabei wird das Mathematische immer nur relative Größen hervorbringen können, eben durch Vergleichung und bleibt doch auf das Ästhetische angewiesen. Das hieße für die Kartographie und die Karte, deren topologische Struktur auf Maßverhältnisse begründet ist, daß sie letztendlich trotz ihrer mathematischen Grundlagen, die die wissenschaftliche Beweiskraft bzw. Evidenz ihrer Darstellung befördert, ästhetisch gebunden bleibt und insofern eben subjektiv von der Mustererkennung bestimmt wäre.

 

Wird bei Kant in der "Kritik der Urteilskraft" das Verhältnis von Maßen und"absoluten Maßen" (Maße , die den Sinnen entgleiten) hergestellt, fungiert die Urteilskraft als Mittelding bzw. als Vermittler.

Der Begriff des "Urteils" kann hier als "vermittelnde Artikulation", ausgezeichnet werden, welche sich ausweist durch ein "Dazwischen-Sein", wie Derrida schreibt, und dem Urteil somit eine sowohl regulative als auch konstitutive Instanz zuweist. "Aber es wird‚ 'große Schwierigkeiten' bereiten, Prinzipien a priori für das Urteil zu finden, die ihm eigen sind und die Theorie vor dem Empirismus bewahren. (...) Der einzige Begriff den sie (die Urteilskraft, A.S.) bilden kann, ist ein gewissermaßen leerer Begriff, der nichts zu erkennen gibt. Durch ihn 'wird kein Ding eigentlich erkannt'. Er liefert eine 'Regel' des Gebrauchs, die keine Objektivität mit sich führt, keinen Bezug auf den Gegenstand, keine Erkenntnis. Die Regel ist subjektiv, die Urteilskraft gibt sich selbst Regeln und sie muß es tun, da sie sonst endlos ein anderes Vermögen (faculté) zur Schiedsgerichtbarkeit berufen müßte. Und dennoch wird diese subjektive Regel auf Urteile angewandt, auf Aussagen, die strukturell nach allgemeiner Objektivität streben."[37]

Regeln und Gesetze wirken bei allem Erkennen.[38] Denn dabei geht es um eine Wechselwirkung zwischen"Besonderem" und"Allgemeinem". Insofern läßt sich die Frage, ob die Urteilskraft für sich a priori Prinzipien oder Gesetze hat, und ob diese konstitutiv oder regulativ wirken, auf das von mir entworfene Paradox des Musters übertragen.

Kant stellt heraus: Ein gesetzgebendes Vermögen ist notwendig, um ein Verhältnis zwischen "Besonderem" und "Allgemeinen" herzustellen. Er schreibt zum Prinzip der Urteilskraft als einem a priori gesetzgebenden Vermögen: "Urteilskraft überhaupt ist das Vermögen, das Besondere als enthalten unter dem Allgemeinen zu denken. Ist das Allgemeine (die Regel, das Prinzip, das Gesetz) gegeben, so ist die Urteilskraft, welche das Besondere darunter subsumiert, (auch, wenn sie, als transzendentale Urteilskraft, a priori die Bedingungen angibt, welche gemäß allein unter jenem Allgemeinen subsumiert werden kann) bestimmend. Ist aber nur das Besondere gegeben, wozu sie das Allgemeine finden soll, so ist die Urteilskraft bloß reflektierend."[39] Beide Bewegungen bestimmen das Muster: Reihenfolgen, Formen, u.a. werden unter Mustern subsumiert. Aber sie sind selbst auch Muster. Das Muster ist aus den Reihenfolgen, Maßverhältnissen und Formen zu bilden. Denn das Muster ist, wie schon gesagt, immer vor dem Muster.

Insofern kann mit einer Lektüre von Ausschnitten aus Kants "Kritik der Urteilskraft" das "Paradox des Musters", wie ich es entworfen habe, in seiner Bildung hervortreten. Es kann hier an "der Grenze der Repräsentierbarkeit", dem "Scheitern" der Darstellung – wie es Lyotard in seinen Kant-Lektionen formuliert –  zur Wirkung kommen.

Die Doppelbewegung des Musters: das "Sich zeigen" und das gleichzeitige "Verweisen" eröffnen die Analytik eines wechselwirksamen Kontextes der Kartographie, die das Scheitern einer Darstellbarkeit "wissenschaftlicher Evidenzen" im Rahmen eines dualistischen Wissenssystems zu markieren vermag. Die Serialität, gedacht als Netz, könnte hier als theoretische Figur eine Antwort bilden, auf die im Experiment mit dem Diagramm gestellten Fragen nach den Relationen[40].



[1] Buci-Glucksmann  arbeitet in diesem Zusammenhang heraus, daß die Ausprägungen, die der „kartographische Blick“ im Lauf seiner Geschichte erfuhr – die Tafelbilder, die Pläne und Stadtansichten – sich im konzeptionellen und programmierten Blick des Vrituellen, der u.a. durch ein Ineinandergreifen des mikrosko–pischen und makroskopischen Bilcks markiert werden kann, wiederfindet. „Der ständige Übergang vom Makroskopischen zum Mi–kros–kopischen definiert die Modalität des synthetischen Bildes ...“ in: Christine Buci-Glucksmann, Der kartographische Blick der Kunst, aus dem Französischen übersetzt von Andreas Hiepko, Berlin 1997, S.205

[2] Dagmar Schmauks, Landkarten als synopitsches Medium, Zeitschrift für Semiotik, die Landkarte  als synoptisches  Medium, hrsg. v. Roland Posner, Martin Krampen, Dagmar Schmauks, Bd. 20, Heft 1-2, Tübingen 1998, S.16.

[3] Christoph Tholen, Digitale Differenz, in: Hyperkult, Geschichte, Theorie und Kontext digitaler Medien, hrsg. v. Wolfgang Coy, Martin Warnke und Christoph Tholen, Basel/Frankfurt am Main 1997, S.103; da heißt es weiter: „Der– hier nur grob skizzierte– Versuch, den paradoxal anmutenden Befund einer chiastischen Verkreuzung von Sichtbaren und Unsichtbaren für eine medienphilosophisch pointierte Bestimmung der medialen Topik anzuwenden, verdankt sich– philosophiegeschichtlich betrachtet– der Fragestellung der Phänomenologie im Augenblick ihrer Krise, das heißt dem Gewahrwerden der Kluft der Sprache und der Technik, die die bewußtseinsphilosophisch nicht mehr garantierbare und auch in der Wahrnehmung vergeblich gesuchte Selbstgewißheit des Subjekts unhintergehbar zerstreut und unterläuft.“

[4] Tholen, digitale Differnez, a.a.O., S.104.

[5] Tholen zitiert hierfür Merleu-Pontys Vokabular und spricht von der Zäsur auch als„ursprungslose Lücke“,„Fleisch der Zeit“ oder als„abgründiges Stellungsspiel der Relationen“. Mit Lacan könnte man als Zäsur auch die Intervention des Symbolischen ins Imaginäre bezeichnen., vgl. Tholen, digitale Differenz, a.a.O., S.107

[6] Tholen, digitale Differenz, a.a.O., S.107

[7] vgl. Psychoanalyse-Begrifflichkeiten: Imaginäre/Symbolische, Bild/Übertragung, Metapher/Metonymie

[8] Medial wird hier mit Tholen nicht verstanden als etwas, was zu der natürlichen Wahrnehmung hinzukäme. Die Wahrnehmung ist vielmehr immer medial, d.h. künstlich affiziert., Tholen, a.a.o. S.108.

[9] Etymologische Wörterbücher, hrsg.v. Wolfgang Pfeiffer, Berlin 1989.

[10] Etymologisches Wörterbuch, a.a.O.

[11] Etymologisches Wörterbuch, a.a.O..

[12] und führte über das Volkslateinisch„mostra“ zu lateinisch„monstrare“.

[13] Etymologisches Wörterbuch, a.a.O.

[14] Foucault, Archäologie des Wissens, 8.Auflg., Frankfurt am Main, 1981/1997, S.16.

[15] Schmauks, Landkarten als synoptisches Medium,, a.a.O., S.9

[16] Charles Peirce, Semiotische Schriften 1906-1913, herausgegeben und übersetzt von Christiane Koesel und Helmut Pape, 1.Auflg., Frankfurt am Main 1993, S.133. Band 3.

[17] Charles Peirce, Bd. 3, a.a.O., S.236.

[18] Daneben zeigt der Rapport einen erwähnenswerten Seiteneffekt, gleichsam den unabsehbaren Effekten eines Algorithmus vergleichbar, der innerhalb eines Computerprogramms zum Einsatz kommt und an diversen Schnittstellen wirksam wird.

[19]Hans Peter Bähr, Digitale Bildverarbeitung, Anwendung in Photogrammetrie, Kartographie und Fernerkundung, 3. überarbeitete Auflage, Heidelberg 1998.

[20] Ernst Löffler, Geographie und Fernerkundung, Stuttgart 1985, S. 115.

[21]B. Jähne u.a., Technische Bildverarbeitung, Maschinelles Sehen, Springer Berlin, Heidelberg New York...1995, S.28.

[22] Die statistische Methode basiert darauf einzelne Muster auf Grund signifikanter, extrahierter Merkmale jeweils genau einer Klasse aus allen möglichen zuzuordnen. Dieser Vorgang, bei dem die Muster unabhängig von anderen Mustern betrachtet werden, heißt Klassifikation. In der Fernerkundung werden z.B. einzelne Pixel aufgrund ihrer spektralen Merkmale in den verschiedenen Kanälen einer Satellitenaufnahme in eine der vorgegebenen Landnutzungsklassen, wie z.B. Wald, Siedlung mit charakteristischen multivariaten Grauwertverteilungen klassifiziert.

Als syntaktisches Verfahren  gilt die strukturelle Mustererkennung. Ihr liegt das Prinzip zu Grunde, ein komplexes Muster durch ein hierarchisches Zusammenfügen von einfacheren Submustern zu beschreiben. Dies geschieht durch Auswahl von geeigneten Muster-Primitiven und von Regeln, wie die Primitiven zu einem komplexeren Muster zusammenzusetzen sind. Die Regeln sind die Grammatik. Das heißt, Objekt oder Szenen werden durch relationale Strukturen repräsentiert, deren Knoten Unterstrukturen und deren Linien Relationen zwischen den Knoten, die sie verbinden, darstellen.

Die Wissensbasierte Mustererkennung geht hier noch weiter. Die Beschreibung von Mustern erfolgt auch durch formale Logik unter Verwendung von Regeln und Fakten. Dabei wird davon ausgegangen, daß die Regeln aus einem Wenn/Dann –Teil bestehen. Wenn der Bedingungsteil zutrifft, wird der Aktionsteil ausgeführt. Fakten beschreiben Zustände, Ereignisse, Eigenschaften. Aus diesen leitet eine Interferenzmaschine automatisch Schlußfolgerungen ab. Wissensbasierte Systeme bestehen damit aus zwei Komponeten: einer Wissensbasis, die Spezialwissen enthält und einer Problemlösungskomponente, die selbständig Schlüsse aus dem gespeicherten Wissen zieht.

[23] Es werden die statistische, die strukturelle und die wissensbasierte Methode unterschieden. In: Bähr, Digitale Bildverarbeitung, a.a.O., S.70/71.

[24] Jacques Derrida, Wahrheit in der Malerei, hrsg. v. Peter Engelmann, Wien 1992, S.134.

[25] Derrida, Wahrheit in der Malerei, a.a.O., S.134

[26] Derrida, Wahrheit in der Malerei, a.a.O., S.135

[27] Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, Werkausgabe Bd. X, hrsg. v. Wilhelm Weischedel,  14.Auflg., Frankfurt am Main 1974/1996,S.201ff, und Jean François Lyotard, Die Analytik des Erhabenen, Bonn 1993, S.171.

[28] Kant, Kritik der Urteilskraft, a.a.O., S.201ff

[29] Kant, Kritik der Urteilskraft, a.a.O., S.201,202.

„Diese Gebot  allein kann den Enthuiasmus erklären, den das jüdische Volk in seiner gesitteten Epoche für seine Religion fühlte, wenn es sich mit andern Völkern verglich, oder denjenigen Stolz den der Mohammedism einflößt. (...).“,S.201.

[30] Lyotard, Die Analytik des Erhabenen, a.a.O., S.170.

[31] Lyotard, Die Analytik des Erhabenen, a.a.O., S.172.

[32] Kant, Kritik der Urteilskraft, a.a.O., S.201

[33] Kant, Kritik der Urteilskraft, a.a.O., S.168.

[34] Teichert,Dieter; Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft,  Paderborn 1992, S.70.

[35] Kant, Kritik der Urteilskraft, a.a.O., S.169.

[36] Kant, Kritik der Urteilskraft, a.a.O., S.172/173.

[37] Derrida, Wahrheit in der Malerei, S.60/61

[38] Kant, Kritik der Urteilskraft, a.a.O., S.193/194, Allgemeine Anmerkung

[39] Kant, Kritik der Urteilskraft, a.a.O., S.87

Zum transzendentalen  Prinzip der Urteilskraft: „Wir finden nämlich in den Gründen der Möglichkeit einer Erfahrung zuerst freilich etwas Notwendiges, nämlich die allgemeinen Gesetze, ohne welche Natur überhaupt (als Gegenstand der Sinne) nicht gedacht werden kann; und diese beruhen auf den Kategorien, angewandt auf die formalen Bedingungen aller uns möglichen Anschauung, sofern sie gleichfalls a priori gegeben ist. Unter diesen Gesetzen nun ist die Urteilskraft bestimmend; denn sie hat nichts zu tun, als unter gegebenen Gesetzen zu subsumieren. Z.B. der Verstand sagt: Alle Veränderung hat ihre Ursache (allgemeines  Naturgesetz); die transzendentale Urteilskraft hat nun nichts weiter zu tun, als die Bedingung der Subsumtion unter den vorgelegten Verstandesbegriff a priori anzugeben: und das ist die Sukzession der  Bestimmungen eines und desselben Dinges. Für die Natur nun überhaupt (als Gegenstand möglicher Erfahrung) wird jenes Gesetz als schlechterdings notwendig anerkannt. (...)“, ebd., S.92

[40] vgl. Peirce, a.a.O.