Andrea Sick

   

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Eine genauere Analyse des "Musters", die vom Wort und seiner Bedeutung ausgeht kann hierzu beitragen. Grundlage bilden verschiedene Lexikonartikel, die insbesondere drei Bedeutungsfelder  des "Musters" hervorheben:

Mit Muster bezeichnet man dort zum ersten eine Vorlage (Modell) nach der etwas gefertigt wird. Das Kompositum Vorlage aus "vor" und "Lage"  spricht ein (vor) und topologisches (Lage) Verhältnis an. Die "Vorlage" bestimmt zeitliches "ein Vorher", bestimmt im Vorfeld die räumliche Lage, sie gibt an, wie die räumliche Verteilung hergestellt oder ausgeführt werden soll. Das Modell, was das Muster ist, bestimmt so im voraus die topologischen Relationen, geradezu vergleichbar mit einer Gebrauchsanweisung oder besser noch, die Bildlichkeit hervorhebend, einer Schablone. Will es als solche fungieren, muß sie – die Schablone - schon immer vorher dagewesen sein. Das heißt, soll ein vorbildliches Stück hergestellt werden, gibt das Muster vor, wie es gemacht werden sollte. Nicht nur im Sinne einer Zeichensprache, die die Reihenfolge von Merkmalen übersetzt – man denke z.B. an Transkriptionen von Strick- oder Stickmustern in Strich- und Punktcodes,  sondern als Vorgabe von Maßverhältnissen. Am exponiertesten ist hier vielleicht das Schnittmuster, nach dem ein Kleid, eine Hose etc. geschneidert werden kann. Das Muster wird folgendermaßen entworfen: Es werden verschiedene Segmente angenommen. Davon ausgehend wird am Träger maßgenommen, festgelegte Abstände, z.B. vom Halsansatz zum Armansatz oder der Umfang von Brust und Taille werden gemessen, um Proportionen entwickeln zu können, und um ein auf den Träger zugeschneidertes Schnittmuster auf Papier zu erhalten. Das Schnittmuster wird auf den gewählten Stoff übertragen– ein maßgerechtes Übersetzungsverfahren, das auf zeitlicher Ebene von vorher bestimmten örtlichen bzw. topologischen Markierungen oder Punkten ausgeht. Das Muster zeigt das aus Körperpunkten maßgenommene Modell der Körperform.

Das heißt: das Muster stellt Modelle vor oder aus, in dem es die entsprechenden Anordnungen wiederholt. Es ist insofern Vorlage. Nach ihm wird etwas anderes (z.B. das Kleid, die Karte) wiederum erstellt. Es wiederholt Anordnungen, die dazu dienen wiederholt zu werden. Dafür wird es herausgegriffen, ausgewählt, erkannt,  gebildet und eben wiederholt. Hier ließe sich auch das Bedeutungsfeld des Verbs "mustern" anschließen. Jemanden oder etwas zu mustern könnte heißen: etwas oder jemand wird überprüft anhand eines Modells bzw. anhand von modellhaften Daten. Die Musterung mustert bzw. hebt heraus (z.B. Wehrdienstpflichtige) und bezeichnet gleichzeitig eine bestimmte Reihenfolge und Kombination von Zeichen. Sie steht also einerseits für eine Handlung: die Auswahl anhand von (vorherigen mustergültigen) Modellen und andererseits für die Spezifizierung der Reihenfolge und Form von verschiedenen sich wiederholenden Zeichen. Das Bildmuster kann so als die Regelhaftigkeit der räumlichen Anord-nungen von Erscheinungen verstanden werden. Es bezeichnet eine Topologie.


In einem weiteren – dem ersten sehr naheliegenden zweiten Bedeutungsfeld  fungiert das Muster als Vorbild. Ein Muster  wäre etwas Vollkommenes, Ganzes, ein Bild, nach dem ein Bild zu machen wäre oder auch ein Bild vor dem Bild  - mit Kant gesprochen ein "bildloses Bild" bzw. eine "negative Darstellung". Insofern kann es auch herhalten als Probestück oder besser Warenprobestück. Letzteres wäre ein Gegenstand, der die Beschaffenheit einer Ware oder die Wirkung bei ihrer Verwendung kennzeichnen soll. Es kann aber auch eine Warenprobe sein– z.B. kann das Muster auch ein von einer größeren Menge entnommenes Stück oder ein kleiner Teil eines Größeren sein, welcher zur Prüfung oder zur Veranschaulichung dient. Man denke auch an Bücher mit Tapeten- und Stoffmustern, die dem Innenausstatter vorgelegt werden.

Traditionsgemäß ordnen sich all die Muster im Musterkoffer des Handlungsreisenden. Den erwartungsvollen Augen des möglichen Käufers demonstriert der zu Verkaufszwecken Reisende das Probestück, dieses Stück aller Vorbildlichkeit z.B. eines wunderbaren Staubsaugers, der verspricht jedes Staubkorn in großer Geschwindigkeit und mit großer Zugkraft, ohne erneutes Aufwirbeln von Staubkörnern, einzusaugen und so die Böden und Polster vom Staub zubefreien. Das Mustergerät führt diese Zaubertat auch prompt der erstaunten Kundin vor. Umgehend wird sie zur Käuferin.

Aber hier interessiert nicht der Staubsauger und wie er staubige Gebiete in staubfreie verwandelt oder zaubert, sondern eben sein musterhafter Charakter. Er, das Stück aller Vorbildlichkeit, ein Muster von Staubsauger. Das Muster wäre jetzt also Vorbild eines für die Kundin auf Lager liegenden Warenstücks. Findet die Kundin am Muster gefallen, wird dies bestellt.

Aber was sie erhält ist nicht das Muster, sondern im positivsten Fall ein mustergültiges Äquivalent des Musters. Der Irrtum der enttäuschten Kundin könnte sein: das Muster wurde mit einem Original verwechselt. Denn nur ein Original kann eine Kopie – mit all ihren hundertprozentigen Ansprüchen -  hervorbringen. Ein Muster wird doch eher transformiert oder übertragen. Dem Original dagegen ist seine Einmaligkeit eigen, der Originalität ihre Eigentümlichkeit. Ein originales Muster wäre eines, was ursprünglich und zugleich einmalig wäre. Und fehlt ihm – dem Muster -  nicht die dem Original so gerne zugeschriebene "wesenhafte Eigentümlichkeit", da es immer schon Abstraktion ist, eine Vorlage, ein topologisches Modell, eben eine Transformation? Das Original hingegen bleibt getrieben von der Ursprungsfrage, wird geradezu von dieser bedrängt, von dem Gedanken eines "ersten", während das Muster als allgemeingültiges Modell gar nicht am Ursprung bzw. als "erstes" stehen könnte.

Nun könnte man, bezogen auf die Landschaftstopologie, annehmen– was die Kartosemiotik auch tut -, die Karte wäre das Muster und die Landschaftssegmente das Original.

Die Kartosemiotik sagt hierzu, daß Karten in gewisser Hinsicht immer informativer sein können als ihre Originale und die wären hier die Landschaft. Denn so die Begründung: "da man Landschaften immer nur partiell wahrnimmt, ist ihre Gesamtstruktur nur auf einer Karte oder einem Modell erkennbar."[15]

Und für dieses kartographische Verständnis bemühte sich schon Peirce in seinen semiotischen Schriften zur Diagrammatik um eine Erklärung:

"Kommen Sie mein Leser, wir wollen ein Diagramm konstruieren, um den allgemeinen Verlauf des Denkens zu veranschaulichen. Ich meine ein System der Diagrammatisierung, durch das jeder Verlauf des Denkens mit Genauigkeit dargestellt wird.

Doch warum sollten wir das tun, wenn uns das Denken selbst gegenwärtig ist? Auf diese Frage lief im wesentlichen der Einwand hinaus, der von ein oder zwei überlegenen Intelligenzen erhoben wurde, darunter ein ruhmreicher und bedeutender General.

Zurückgezogen wie ich lebe, hatte ich nicht die Gegenfrage parat, die hätte lauten müssen: ‚General, ich glaube, daß Sie während eines Feldzuges Landkarten verwenden. Warum sollten Sie das tun, wenn das Land, das sie darstellen, doch genau dort vor ihnen liegt?‘ Daraufhin, wenn er entgegnet hätte, er könne auf den Karten Einzelheiten erkennen, die weit davon entfernt seien, genau vor ihm zu liegen, sie befänden sich nämlich innerhalb der feindlichen Linien, hätte ich ihm die Frage entgegenhalten sollen: ‚Habe ich also recht, daß dann, wenn Sie durchgängig und vollkommen mit dem Land vertraut wären, wenn beispielsweise die Szenen ihrer Kindheit sich gerade hier abgespielt hätten, keine Karte für Sie den geringsten Nutzen hätte, wenn Sie Ihre detaillierten Pläne entwickeln?‘ Darauf hätte er nur entgegnen können: ‚Nein, das habe ich nicht gesagt, da ich wahrscheinlich Markierungsnadeln einstecken möchte, um so die voraussichtlichen täglichen Veränderungen in den Stellungen der beiden Armeen zu markieren.‘ Daraufhin hätte dann wiederum meine Entgegnung sein sollen: Gut, General, dies entspricht genau dem Vorteil eines Diagramms für den Verlauf einer Diskussion. Tatsächlich besteht genau darin, worauf Sie so klar hingewiesen haben, der Vorteil von Diagrammen im allgemeinen. Wenn ich nämlich die Sache einmal auf ihre Art beschreibe, kann man mit einheitlichen Diagrammen genaue Experimente anstellen. Und wenn man das macht, muß man mit erhöhter Wachsamkeit auf unbeabsichtigte Veränderungen achten, die dabei in den Relationen der unterschiedlichen bedeutungsvollen Teile des Diagramms zueinander herbeigeführt wurden. Solche Operationen mit Diagrammen, ob äußerlich oder vorgestellt, treten an die Stelle der Experimente mit wirklichen Dingen, die man in der chemischen und physikalischen Forschung durchführt. Chemiker haben oft, was ich nicht erwähnen muß, das Experimentieren als ein Stellen von Fragen an die Natur beschrieben. Ebenso sind Experimente mit Diagrammen Fragen, die der Natur der betreffenden Relationen gestellt werden."[16]

Wäre also, wie die Kartosemiotik sagt, das Original das Land und die Karte das Diagramm, so wäre das Muster die Relation zwischen Land und Diagramm, wobei dem Diagramm inhärent wäre, immer schon die Frage nach den Relationen zu stellen. Insofern käme die "Mustererkennung" dem Experiment mit dem Diagramm, welches Vergleiche vornimmt und insofern eine Vergleichung im topologischen Raum konstituiert, gleich.

Bevor die Frage nach dem Original, dem Muster und der Vergleichung noch weiter ausgebaut wird, zunächst aber noch einmal zum Muster und seinem dritten Bedeutungsfeld, welches Erzeugnissen serieller Verfahrensweisen zunächst am augenfälligsten zu gleichen scheint:

Grundsätzlich gilt für ein Muster: Ist da ein Muster– Vorlage und Vorbild -, kann es wiederholt, in einer Reihe angeordnet werden. Ganze Serien von Motivfolgen können das Muster bestimmen, welches sich in der Reihenfolge einer Motivanordnung zeigt. So eröffnet sich für das Muster ein drittes Bedeutungsfeld, welches sich zum Beispiel als Fläche wiederholender Verzierungen oder Motiven (z.B. Blumen-, Phantasie-, Stoff-, Tapeten etc.) zeigt . Eine Reihenfolge von links nach rechts, die sich vervollständigt von oben nach unten und umgekehrt.

Das Muster läßt sich sehen, wenn einzelne Motive regelmäßig kombiniert und wiederholt werden. Die Motive können Verzierungen, ornamentale Konstruktionen wie auch  figürliche Bildelemente sein. Das einzelne Motiv eines Musters kann, sofern für das Motiv gilt, zugleich Teil des Musters und Muster zu sein, als "Bild" funktionieren. Das bedeutet, das Muster selbst kann als "Bild" bezeichnet werden. Dabei kann sich das Muster auch aus einer Bilderfolge zusammensetzen, die sich wiederholt. Die einzelnen Bilder oder Motive strukturieren in einer gleichbleibenden Reihenfolge die Fläche z.B. einer Tapete.

Die Größe der sich immer wiederholenden Gesamtmuster werden in der Tapetentechnik und– geschichte als "Rapport" bezeichnet. Das Muster wird also durch den "Rapport" bestimmt, bemessen und angepasst. Der Seitenrapport ist die Breite der Tapetenbahn oder ein Bruchteil der Breite. Der Höhenrapport entspricht dem äußeren Umfang der Druckwalze oder einem Abschnitt davon. Der Rapport selbst fordert die Überprüfung wie das Muster verläuft, so auch z.B. ob die Druckwalze gerade verläuft und das Muster bzw. die Farben in den Konturen liegen etc..

Er– der Rapport - ist das hervorhebare korrekte Muster oder Motiv, welches sich auf Geweben, Teppichen und Tapeten ständig wiederholt. So heißt auch "rapportieren", sich als Muster oder Motiv ständig zu wiederholen und wäre so als mustergültiges serielles Verfahren zu bezeichnen.

Der Rapport bezeichnet aber nicht nur das korrekte Muster sondern auch seine nahtlose Grenze: Die Muster einer Tapete werden nicht nur längs auf einer Bahn sondern ebenfalls nebeneinander von Bahn zu Bahn angefügt um die Tapetenfläche auf der Wand herzustellen. Der Ausdruck Rapport wird auch für das Passen der Ansatzstellen eines Musters verwendet. Die Ansätze werden so gesetzt, daß sie sich zu einem ganzen Muster in gehabter Reihenfolge wieder zusammenfügen. Er bezeichnet also die Grenze, den Ansatz oder den Übergang von einem Musterende zum nächsten Musterende.

Schwieriger wird es, werden die Muster konturlos, sind die Motive nicht so einfach hervorhebbar zugunsten der Flächenwirkung. Feine Musterungen können auf Tapeten den Anschein erwecken, als ob sie "rapportlos" wären: das entsteht, wenn die Motive in einer ganz bestimmten Stellung zueinander wiederkehren oder gilt auch für Kleinmuster, Nadelstreifen, Stries, Unis, bei denen geradezu Motive nicht vereinzelbar sind. Solche Muster können den Eindruck einer Fläche vermitteln, so, als ob ein solches Muster keinen "Rapport" hätte.[17]

Nahtlose Grenze und klare erkennbare Konturen bestimmen den Rapport eines Musters. Das heißt die Übergänge und Nachbarschaften des Musters sind in jedem Fall von entscheidender Bedeutung.[18]

Ein Flächenmuster entsteht genau dann, wenn einerseits die einzelnen Motive erkannt und diese gleichzeitig zusammen als Fläche gesehen, gewissermaßen "zusammengefaßt" werden, indem die Regelmäßigkeit ihrer Wiederholung nachvollzogen wird. Es kommt auf die geregelte Wiederholung an. Folglich kann ein sondierender Blick klar umfassbare Formen von der Fläche abheben und das einzelne Muster entwerfen sowie eine Motivstatistik ausweisen. Das Muster, welches sich sehen läßt – als einzelnes und auch in seiner Zusammenfassung -  muß erkannt werden.

 
 
     

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