Andrea Sick

   

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Erkennen fordert immer die Vergleichung, schreibt Kant in der "Kritik der Urteilskraft".[33] Hier soll nun das mathematische Erhabene in Bezug auf Maßverhältnisse und Vergleichung im Rahmen von seriellen Verfahren interessieren. Das Paradox des Musters soll als Vergleichungsproblem formuliert werden.

Die"Analytik des Mathematisch-Erhabenen" bestimmt unter der Kategorie der Quantität die Synthese und ihre Verfahren der"Auffassung" und der "Zusammenfassung", die auch gedacht werden können als Verfahren der Abstraktion, die an der Grenze der Repräsentation operieren.

Die Maßverhältnisse des mathematischen Erhabenen" die aus Vergleichung entstehen, können zum "Erkennen" eines Musters führen. Das kantsche "mathematische Erhabene" bezieht sich,  "auf Gegenstände der Anschauung, die so groß sind, daß sie nicht gemessen oder von der Einbildungskraft synthetisiert werden können. Angesichts dieser Unfähigkeit von Einbildungskraft und Verstand, die Mannigfaltigkeit der Vorstellungen zu synthetisieren, wird – in dem kritischen Vokabular bleibend – die Vernunft aktiviert. Durch sie werden die Vorstellungen auf die Idee der Totaltität bezogen".[34]

 

 

Insofern schreibt Kant vom "mathematischen Erhabenen": "Wie groß es aber sei, erfordert jederzeit etwas anderes, welches auch Größe ist, zu seinem Maß. Weil es aber in der Beurteilung der Größe nicht bloß auf die Vielheit (Zahl), sondern auch auf die Größe der Einheit (des Maßes) ankommt, und die Größe dieser letzteren immer wiederum etwas anderes als Maß bedarf, womit sie verglichen werden könne: so sehen wir: daß alle Größenbestimmung der Erscheinungen schlechterdings keinen absoluten Begriff von einer Größe, sondern allemal nur einen Vergleichungsbegriff liefern können."[35] (...) "Die Größenschätzung durch Zahlbegriffe (oder deren Zeichen in der Algebra) ist mathematisch, die aber in der bloßen Anschauung (nach dem Augenmaße) ist ästhetisch. Nun können wir zwar bestimmte Begriffe davon, wie groß etwas sei, nur durch Zahlen (allenfalls Annäherungen durch ins Unendliche fortgehende Zahlenreihen) bekommen, deren Einheit das Maß ist; und sofern ist alle logische Größenschätzung mathematisch. Allein da die Größe des Maßes doch als bekannt angenommen werden muß, so würden, wenn diese nun wiederum nur durch Zahlen, deren Einheit ein anderes Maß sein müßte, mithin mathematisch geschätzt werden sollte, wir niemals ein erstes oder Grundmaß, mithin auch keinen bestimmten Begriff von einer gegebenen Größe haben können. Also muß die Schätzung der Größe des Grundmaßes bloß darin bestehen, daß man sie in einer Anschauung unmittelbar fassen und durch Einbildungskraft zur Darstellung der Zahlbegriffe brauchen kann: d.i. alle Größenschätzung der Gegenstände der Natur ist zuletzt ästhetisch (d.i. subjektiv und nicht objektiv bestimmt)."[36] Das heißt aber auch, daß letztendlich alles Mathematische doch ästhetisch gebunden ist auch wenn es für das Mathematische eigentlich kein Größtes gibt (denn die Zahlen gehen ins Unendliche) und aber für das Ästhetische ein Größtes immer vorhanden sein wird. Dabei wird das Mathematische immer nur relative Größen hervorbringen können, eben durch Vergleichung und bleibt doch auf das Ästhetische angewiesen. Das hieße für die Kartographie und die Karte, deren topologische Struktur auf Maßverhältnisse begründet ist, daß sie letztendlich trotz ihrer mathematischen Grundlagen, die die wissenschaftliche Beweiskraft bzw. Evidenz ihrer Darstellung befördert, ästhetisch gebunden bleibt und insofern eben subjektiv von der Mustererkennung bestimmt wäre.

 

Wird bei Kant in der "Kritik der Urteilskraft" das Verhältnis von Maßen und"absoluten Maßen" (Maße , die den Sinnen entgleiten) hergestellt, fungiert die Urteilskraft als Mittelding bzw. als Vermittler.

Der Begriff des "Urteils" kann hier als "vermittelnde Artikulation", ausgezeichnet werden, welche sich ausweist durch ein "Dazwischen-Sein", wie Derrida schreibt, und dem Urteil somit eine sowohl regulative als auch konstitutive Instanz zuweist. "Aber es wird‚ 'große Schwierigkeiten' bereiten, Prinzipien a priori für das Urteil zu finden, die ihm eigen sind und die Theorie vor dem Empirismus bewahren. (...) Der einzige Begriff den sie (die Urteilskraft, A.S.) bilden kann, ist ein gewissermaßen leerer Begriff, der nichts zu erkennen gibt. Durch ihn 'wird kein Ding eigentlich erkannt'. Er liefert eine 'Regel' des Gebrauchs, die keine Objektivität mit sich führt, keinen Bezug auf den Gegenstand, keine Erkenntnis. Die Regel ist subjektiv, die Urteilskraft gibt sich selbst Regeln und sie muß es tun, da sie sonst endlos ein anderes Vermögen (faculté) zur Schiedsgerichtbarkeit berufen müßte. Und dennoch wird diese subjektive Regel auf Urteile angewandt, auf Aussagen, die strukturell nach allgemeiner Objektivität streben."[37]

Regeln und Gesetze wirken bei allem Erkennen.[38] Denn dabei geht es um eine Wechselwirkung zwischen"Besonderem" und"Allgemeinem". Insofern läßt sich die Frage, ob die Urteilskraft für sich a priori Prinzipien oder Gesetze hat, und ob diese konstitutiv oder regulativ wirken, auf das von mir entworfene Paradox des Musters übertragen.

Kant stellt heraus: Ein gesetzgebendes Vermögen ist notwendig, um ein Verhältnis zwischen "Besonderem" und "Allgemeinen" herzustellen. Er schreibt zum Prinzip der Urteilskraft als einem a priori gesetzgebenden Vermögen: "Urteilskraft überhaupt ist das Vermögen, das Besondere als enthalten unter dem Allgemeinen zu denken. Ist das Allgemeine (die Regel, das Prinzip, das Gesetz) gegeben, so ist die Urteilskraft, welche das Besondere darunter subsumiert, (auch, wenn sie, als transzendentale Urteilskraft, a priori die Bedingungen angibt, welche gemäß allein unter jenem Allgemeinen subsumiert werden kann) bestimmend. Ist aber nur das Besondere gegeben, wozu sie das Allgemeine finden soll, so ist die Urteilskraft bloß reflektierend."[39] Beide Bewegungen bestimmen das Muster: Reihenfolgen, Formen, u.a. werden unter Mustern subsumiert. Aber sie sind selbst auch Muster. Das Muster ist aus den Reihenfolgen, Maßverhältnissen und Formen zu bilden. Denn das Muster ist, wie schon gesagt, immer vor dem Muster.

Insofern kann mit einer Lektüre von Ausschnitten aus Kants "Kritik der Urteilskraft" das "Paradox des Musters", wie ich es entworfen habe, in seiner Bildung hervortreten. Es kann hier an "der Grenze der Repräsentierbarkeit", dem "Scheitern" der Darstellung – wie es Lyotard in seinen Kant-Lektionen formuliert –  zur Wirkung kommen.

Die Doppelbewegung des Musters: das "Sich zeigen" und das gleichzeitige "Verweisen" eröffnen die Analytik eines wechselwirksamen Kontextes der Kartographie, die das Scheitern einer Darstellbarkeit "wissenschaftlicher Evidenzen" im Rahmen eines dualistischen Wissenssystems zu markieren vermag. Die Serialität, gedacht als Netz, könnte hier als theoretische Figur eine Antwort bilden, auf die im Experiment mit dem Diagramm gestellten Fragen nach den Relationen[40].

 
 

 

   

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