prototypisieren

Eine erste Ausführung, der Inbegriff von etwas, das man sich vorstellt, ein Normalmaß, ein Testverfahren: das alles können Prototypen sein. Der Wortgeschichte folgend (gr. proto: vor), versteht man unter Prototypen oft "Vor-Bilder" oder "Vorlagen", auch die so genannten besten Beispiele. Prototypisieren kann als das Verfahren, das vor der Serienfertigung, also "vor dem Produkt", aber auch – und das ist thealits Anliegen – "vor der Theorie", "vor dem (Kunst)Werk" liegt, bezeichnet werden. In diesem "Vor-Gängigen" wird dabei ein Typ gebildet, eine Typisierung vorgenommen. Nun sind die Prototypen, das ist spätestens seit der Konzeptkunst bekannt, möglicherweise auch Objekte, die niemals in Serienfertigung gehen würden. Und nicht nur das. Es können Konzepte sein, die nur gedanklich realisiert, oder Impulse, die erst weiter entwickelt und ausgearbeitet werden sollen... Prototypen sind eben auch Kunstwerk, Produkt und Theorie. Diese Möglichkeiten sollen in einer Messe ausgestellt und gehandelt werden.

Der Industrie gilt die Herstellung von Prototypen fast schon als unrentable Grundlagenforschung, wo sie doch wie die Verkörperung von "Produktwillen" erscheinen. Der Wille verspricht einen wirtschaftlichen Effekt: ein Produkt oder auch einen Testlauf, den der Prototyp bewerkstelligt, möglicherweise auch nur, um ihn anschließend zu verwerfen und die gewonnen Daten anderweitig zu verwerten. Für unternehmerisches Handeln — zu dem sehr wohl auch das künstlerische, wissenschaftliche und kuratorische zählen kann — gilt: Mit innovativen Produkten früher als die Wettbewerber am Markt sein. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass Rapidprototyping seit den neunziger Jahren einerseits als Möglichkeit für schnelle Fertigungsverfahren propagiert — die Herstellung von Werkstücken ohne Umwege direkt aus CAD-Daten —, andererseits aber auch in der Vermittlungsarbeit genutzt wird, um schnell das Verstehen abstrakter Datenrepräsentationen durch dreidimensionale Objekte zu erhöhen, z.B. die Darstellung eines komplexen Moleküls. Prototypen dienen also auch als Instrumente: zum Eruieren der Anforderungen an das Produkt sowie zum besseren Verständnis von Prozessen und zur Veranschaulichung komplexer Zusammenhänge. Virtual- und Rapidprototyping versprechen so manche kostenintensive Vorstufe zu überspringen — der für einen Testlauf immer wieder neu zu entwickelnde Prototyp erscheint hier eher wie ein Umweg — und setzen somit eben ganz auf das (End)Produkt, von dem so viele generiert werden, bis das "passendste" oder "schönste" vorliegt. Nicht nur das Rapidprototyping scheint dabei von allerlei Gefahren umgeben, denen es durch effektives "Risikomanagement" entgegenzutreten gilt.

Zusammengefasst: Dem Prototypisieren eigen sind das Testen und Entwickeln sowie das Erproben und Verwerfen. "Evolutionäres" und "revolutionäres Prototyping" nennt es die Fachliteratur für Unternehmerisches. Insofern wird unterschieden zwischen den Testverfahren, die langsame Entwicklungen vor Augen haben, und denen, welche eruptiv Testprodukte verwerfen: Das Revolutionäre entwickelt möglichst früh Prototypen, evaluiert sie und verwirft sie danach. Ein schnelles Verfahren mit viel Abfall. Das evolutionäre Verfahren unterscheidet nicht zwischen Prototyp und Endprodukt, denn das "Produkt" wird langsam entwickelt und verbessert. Eruptiv und nachhaltig können diese Verfahren auch Theorien und Kunstwerke entwickeln, die Unmögliches möglich machen. Mal für ein Publikum, mal auch ohne Publikum. Mal mit einer Zukunft oder auch ohne Zukunft. Für manchen Prototypen mag es reichen, dass er als Prototyp existiert.

Denn egal, für welches Publikum und welche Zeit sie produziert werden, die Prototypen greifen nicht nur in ökonomische Prozesse ein und gestalten sie zugleich, sondern machen Unmögliches möglich, explorieren Gedankenexperimente, provozieren Testläufe: in der Theoriebildung, der Kunstproduktion, der Wissenschaft, der technischen Entwicklung. Es ist nicht nur interessant, dass selbst Künstler und Künstlerinnen mit ihrem Künstlerleben als Prototypen für neue Arbeitskonzepte, wie Flexibilität, Identifikation, Kreativität gelten, und dass künstlerische Arbeiten — folgt man den expliziten Anliegen einer Creative Industrie — als Prototypen für gestalterische Produkte oder Marketingkonzepte eingesetzt werden sollen, um zum Beispiel Ausgaben zu rechtfertigen. Interessant ist auch, was diese Tendenz für die Kunstproduktion, insbesondere die kostenaufwendige Medienkunstproduktion bedeutet. Auch in der Wissenslandschaft — selbst den Geisteswissenschaften — werden prototypische Projekte unternommen: sei es als evolutionäre im Sinne eines stetigen Sich-Abarbeitens an bereits existierenden Theorien und Methoden, sei es als Drang, neue Theorie-Prototypen zu entwickeln, im immer schneller aufeinander folgenden Ausrufen umwälzender Paradigmen und neuer Theorie-Bildungen mit großen Gesten. Zur Positionierung auf dem Markt der Wissenschaften scheint gerade angesichts auseinander driftender Forschungslandschaften (Stichwort: Exzellenz-Universitäten) eine weitere Prototypisierung zunehmend unerlässlich.

Kunst und Theorie auf einer Messe vorzustellen, das heißt auch, Genres und Formen selbst zu prototypisieren, misslungene und überflüssige Prototypen den erfolgreichen gegenüberzustellen, Testläufe zu entwickeln und durchzuspielen, Benutzerschnittstellen zu modellieren, Theorie- und Kunstprodukte zu verkaufen sowie Patente für diese zu erobern. Kunst und Theorie präsentieren sich am Umschlagplatz zum Produkt, vor dem Produkt, selbst als "Abfall" oder auch selbst als Produkt. Es geht um ein Durchspielen von Möglichkeiten, um Experimente, deren Wiederholbarkeit und Erweiterbarkeit getestet werden, und um gedankliche Schemata, die auch verworfen werden können. All das wird sich auf der Messe für Theorie und Kunst in einen Tauschprozess einfügen, der nicht glatt ablaufen kann. Eine Messe stellt Angebote aus, Prototypen aus Theorie und Kunst. Das heißt aber auch: sie stellt Theorie dar, sie stellt Kunst dar, indem sie sie im Testverfahren praktiziert. Die Messe selbst funktioniert als Testverfahren und Produktionsstätte. Die Messe geht Risiken ein. Susanne Bauer, Ulrike Bergermann, Christine Hanke, Helene von Oldenburg, Claudia Reiche, Andrea Sick




 

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Ausstellerinnen
Ilka Becker, Sandra Becker 01, Laura Beloff, Doro Carl, Dämmstoffmafia, Daniela Dröscher, Brigitte Dunkel, Beate Engl, Sabine Falk, Sibylle Feucht, Christina Goestl, Shirin Homan-Saadat, Jokinen, Christiane König, Sabine Kullenberg, Verena Kuni, Petra Lange-Berndt, Ludwik-Fleck-Kreis, Mikki Muhr, Helene von Oldenburg, Irena Paskali, Tanja Paulitz, Claudia Reiche, Therese Roth, Andrea Seier/Andrea B. Braidt, Wantanee Siripattananuntakul, Elke Suhr, Renate Wieser