Dorsa Eidizadeh ist eine transdisziplinäre Künstlerin, deren Praxis sich um den Aufbau von Gemeinschaften, die Initiierung von Projekträumen und die Sorge um deren Überleben sowie um Übersetzungen (mit einem Hintergrund im Drehbuchschreiben) dreht. Dorsa studiert seit 2017 Bildende Kunst an der Hochschule für Künste Bremen bei Andree Korpys und Markus Löffler und hat u.a. für Cafe Lu, Radio Angrezi, die Online-Publikation Circa 106 und den Projektraum From the A gearbeitet.
Dorsa beschäftigt sich in ihrer Praxis mit dem Begriff der Sprache und des Schweigens angesichts massiver Propagandamaschinen, angesichts der Institutionalisierung und der interessengeleiteten Geschichtserzählungen von Vergangenheit und sucht nach Wege. Nämlich, wie man sich eine Stimme zurückerobern kann, indem man sich aktiv weigert zu sprechen oder seine Forderungen zu äußern, und sie konzentriert sich auf transnationale Solidarität, die aufdeckt, wie verschiedene Kämpfe ineinandergreifen.
Vicc Repasi (they) ist Künstler*in mit Interesse für Machtdynamiken, wobei sich die jüngsten Arbeiten auf Verinnerlichungsprozesse dominanter Narrative und deren Einfluss auf Verhaltens- und Denkmuster konzentrieren. Politik, Organisation und Organisationsstrukturen sind ebenfalls thematischer Schwerpunkt, und so hat Vicc einige Zeit damit verbracht, die Bürokratie zu infiltrieren.
In letzter Zeit wendet Vicc sich mehr immateriellen Formaten zu und genießt es, Situationen zu inszenieren, wobei es bereits Erfahrung mit Performance, Installation und Sound gibt. Seit 2018 studiert Vicc im Fachbereich Bildende Kunst an der Hochschule für Künste Bremen.
Vicc ist Mitglied des Relationsinstitutet (das Beziehungsinstitut), einer Vereinigung, die auf der Überzeugung basiert, dass Beziehungen und nicht das Individuum die Grundlage unserer Welt sind und dass normative Ansätze zu Beziehungen hinterfragt werden können und sollten.
Wenn wir in diesen Tagen die Nachrichten aus aller Welt verfolgen, dann zeigt uns das vor allem eines: die Ähnlichkeit von Unterdrückung und staatlicher Gewalt. In den USA wurde das Recht auf Abtreibung entzogen, in Schweden, Ungarn und Italien wurden Neofaschisten an die Macht gewählt, in Deutschland nimmt der systematische und institutionelle Rassismus gegenüber Arabern, Muslimen und Palästinensern enorm zu, im Iran wird die brutale Unterdrückung der Demonstranten täglich zur Schlagzeile der Nachrichten.
In den letzten Wochen, als die Freiheitskämpfer im Iran für ihre Rechte und Gleichheit der Frauen, das Leben, die Freiheit laut und mutig demonstrierten, können wir nicht umhin, uns zu fragen, wer sich im Ausnahmezustand befindet: das Regime, das verzweifelt seine nackte, brutale Gewalt zur Schau stellt? Oder sind es die Menschen, die mutig ihre emanzipierten und befreiten Körper bewegen, schreien und handeln lassen? Menschen, die frei sind von der Angst vor dem Tod.
Bei näherer Betrachtung der Situation wird deutlich, dass der Ausnahmezustand von unten nach oben verhängt wurde.
Der Staat versucht, kurzzeitig und einigermaßen „erfolgreich“ Angst und Verzweiflung zu verbreiten, aber am nächsten Tag entsteht neue Hoffnung, organisch, lebendig und mutiger als gestern, die das Blatt wieder wendet. „Emergency“,
die Gefahrenlage, kehrt sich um.
Wir wollen keine Krisen erforschen, die das Nicht-Westliche studieren und damit das bestehende Machtverhältnis reproduzieren und verstärken. Stattdessen wollen wir uns in den Dienst derer stellen, deren Stimmen nicht gehört wurden. Vermitteln, übersetzen, Allianzen bilden. Den Widerstand von denen lernen, die ihn täglich praktizieren. Gemeinsamkeiten im Kampf gegen Unterdrückung jenseits der Binarität von liberalem Westen und unfreiem Nicht-Westen finden, um zu sehen, was uns alle in unserem Kampf gegen die patriarchalen, kolonialen und imperialistischen Kräfte verbindet. Der Drang überleben zu wollen.
Art Residency #5
Vicc Repasi und Dorsa Eidizadeh
13.02.-10.03.2023
Am 13. Februar beginnt die Residency # 5 im Rahmen von THE ART OF EMERGENCY. Bei Vicc Repasi und Dorsa Eidizadeh geht es dann um Ausnahmezustand, und zwar einen umgekehrten: The state of emergency, upside down. Meint der Titel, dass ein verunfallter Staat, ein Notfallstaat, eigentlich längst kopfüber im Fluss der Zeit treibt? Dass herrschender Ausnahmezustand besser verstanden werden soll, ‚vom Kopf auf die Füße gestellt’? Nicht die Bevölkerungen, sondern Regierungen, ja Staatssysteme, steckten akut in Notlagen? Vicc Repasi und Dorsa Eidizadeh schreiben es so:
„Dies ist der Moment zu schreien
Die Scheiße brennt, fällt verdammt nochmal auseinander
Es ist nicht ‚da drüben’ – es ist überall und beeinflusst sich gegenseitig”
Sie erklären: „Das Hinauszögern der Katastrophe wird zu Notfällen führen, und wenn das System nur für sein eigenes Überleben geplant und aufgestellt ist, kommt es irgendwann notwendig zu Katastrophen. Dieser Kreislauf hat den Minderheiten und Randgruppen, die schon immer unter der staatlichen Gewalt gelitten haben, den größten Schaden zugefügt, so dass das Leben im Ausnahmezustand für einige zur täglichen Praxis geworden ist.Wenn man in diesen Tagen die Nachrichten aus aller Welt verfolgt, wird eines besonders deutlich, nämlich die Ähnlichkeit der Unterdrückung. In den USA wurde das Recht auf Abtreibung entzogen, in Schweden, Ungarn und Italien wurden Neofaschisten an die Macht gewählt, in Deutschland nimmt der systematische und institutionelle Rassismus gegenüber Arabern, Muslimen und Palästinensern enorm zu, im Iran ist die brutale Unterdrückung der Demonstranten täglich in den Schlagzeilen.
Die Liste ließe sich fortsetzen. Bei genauerer Beurteilung der Lage, gemeinsam mit all den Anstrengungen von Menschen, horizontalen Gruppen und Aktivisten, wird deutlich, dass der Ausnahmezustand gängigerweise verkehrt herum begriffen wird. Der Staat versucht zwar, die Angst und Verzweiflung (von sich) abzulenken mit dem kurzzeitigen ‚Erfolg' Angst zu verbreiten, was nur bewirkt, dass am nächsten Tag neue Hoffnung aufkommt – organisch, lebendiger und mutiger als gestern, das Blatt wieder wendend. Die Notlage kehrt sich um. Wir werden uns mit Selbstorganisation, Organisieren und Planen befassen und nach Empathie, Solidarität und aktiver Vorstellungskraft suchen.
Wir werden uns auf die Kontexte konzentrieren, mit denen wir vertraut sind, angefangen bei unserer unmittelbaren Umgebung. Wir werden versuchen, den Ausnahmezustand umzukehren: hier und jetzt.”
08. März 2023
ab 18 Uhr
In der Residency # 5 im Rahmen von THE ART OF EMERGENCY steht bei Vicc Repasi und Dorsa Eidizadeh eine Einladung an, in das Arbeitszimmer thealit, St.-Jürgen-Str. 157/159, am Mittwoch 8. März, ab 18:00.
Sie schreiben:„Ein herzliches Hallo an Euch alle, Genoss:innen,
Die letzte Zeit war hart und wir haben viele schwierige Rückschläge erlebt. Wir fühlten Hilflosigkeit, Frustration und Überwältigung durch all die andauernden Kriege, ein Erdbeben mit verheerenden Folgen, das Ergebnis einer ungerechten staatlichen Politik, die die Menschen spaltet und den Profit über das Wohlergehen stellt. Wir sahen auch, wie mit der aufkommenden Welle des Faschismus immer mehr repressive und diskriminierende Gesetze eingeführt wurden. Es ist dringend notwendig, eine Opposition zu bilden, und der Kampf muss auf allen Ebenen geführt werden. Und da wir nie aufhören, befinden wir uns ständig in einem Ausnahmezustand. Der Silberstreif am Horizont ist, dass wir uns gegenseitig haben. Eine starke Gemeinschaft ist nicht aufzuhalten.
Der 8. März, der Tag des Gedenkens an die transnationalen queer-feministischen und intersektionalen Kämpfe gegen das Patriarchat und gegen alle seine Inszenierungen, fällt mit dem Ende unserer Residency im thealit zusammen. Während unserer Zeit in diesem Raum haben wir all diese Fragen über Selbstorganisation, multifunktionale Räume, Care-Arbeit und Gemeinschaft mit uns herumgetragen. Über Kämpfe und darüber, wie man den Widerstand an der Basis vereinen kann.
Um den Kampf fortsetzen zu können, müssen wir uns auch ausruhen.
In diesem Sinne würden wir euch gerne zu einem Treffen nach der Demo einladen. Wir sorgen für warmes Essen und Getränke und bieten mit dem thealit Arbeitszimmer einen Raum, um zu entspannen und aufzutanken und um gemeinsam die Erfahrungen und Eindrücke des Tages zu reflektieren. Wir wollen einen Raum schaffen, in dem wir unsere Gedanken und Emotionen teilen können, sei es Aufregung oder Enttäuschung, Glück oder Wut, oder alles dazwischen oder alles auf einmal.
Wir freuen uns darauf, euch auf der Straße zu sehen und uns danach beim Arbeitszimmer thealit zu treffen!"
gem|einsam voran...
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