In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts diente das fotografische Porträt dem bürgerlichen Subjekt dazu, sich einen "Spiegel seiner selbst" zu verschaffen. In den sog. Humanwissenschaften, in Medizin, Psychiatrie oder kriminologischer Praxis wurde es eingesetzt, um "abweichende Subjekte" zu identifizieren und zu klassifizieren. Entwürfe für eine Standardisierung fotografischer Aufnahmen, wie sie z. B. Alphonse Bertillon mit seiner Schrift "Gerichtliche Photographie" (1890) vorlegte, sollten die Wiedererkennbarkeit der abgebildeten Personen garantieren.
Der Vortrag beleuchtet zum einen das Netzwerk der medialen Zuschreibungen, die die Fotografie als identifikatorisches Verfahren etablieren konnten und die bis heute nicht ungültig geworden sind. Zum anderen stellt er exemplarisch Arbeiten von zeitgenössischen KünstlerInnen vor, die in unterschiedlicher Weise auf Regularien des fotografischen Porträts rekurrieren. |