„‚Die meisten Menschen […] sehen alles voll von von Ordnung.’“ (1) "...eine Analyse [...] ist struktural (und ist nur dann struktural), wenn sie den Inhalt als Modell erscheinen läßt." (2) Gesellschaftsordnungen, diese einzuhalten und zu schützen sind Ordnungshüter beauftragt. So ist es in schriftlicher Form festgehalten. Sollte gegen sie verstoßen werden, so gibt es (zumeist) in den entsprechenden Passagen dieser Ordnung gesetzte Sanktionen, welche auf die begangene Ordnungswidrigkeit folgen. Ordnungen sind und werden festgeschrieben, stehen folgend quasi allgemeingültig als Größe zum Weltverständnis anerkannt. Sie strukturieren Gesellschaften. Wohingegen Strukturen scheinbar weniger exakte Bedingungen verdeutlichen. Sie bilden wohl ebenso Abläufe, Gepflogenheiten, Verantwortlichkeiten sowie Begünstigungen und Benachteiligungen innerhalb von Gesellschaften ab. Jedoch sind sie zumeist nicht qua Gesetzgebung festgeschrieben und werden nicht offen mittels eines Staats- oder Organisationsapparats reguliert. Während es im Wesen einer Ordnung zu liegen scheint, festgelegt und offenkundig zu sein, lassen Strukturen sich vielmehr erahnen und bergen wohl zumeist individuellen Spielraum und Ausformulierungen. Einige meinen allerdings, es sei ein wenig anders: Ordnungen ließen Spielraum und Verhandlungen zu, Strukturen seien unbewusst und unzerstörbar. Wer weiß schon etwas über die Ordnung – oder die Struktur – von denen die eigenen Handlungen möglicherweise ein Bestandteil sind? Gewissheit, bekannten und unbekannten Bestimmungen wohl zugehörig gewesen zu sein, entsteht spürbar erst im Bruch oder der Zuspitzung des Gewohnten – wie dies auch immer entstanden sein mag. Das thealit-Labor Ordnung // Struktur setzt auf bewussten Bruch und Zuspitzung der gängigen Bedingungen künstlerischer und wissenschaftlicher Produktion und Präsentation. Wo diese Bedingungen unablässig auf die Inhalte formierend einwirken, soll mit einer klaren Umordnung // Umstrukturierung Unterbrechung-Befragung passieren. Rahmenbedingungen und Handlungsräume werden Thema und dabei in einem künstlerischen Forschungsfeld ‚verkehrt’. Dies betrifft die langjährigen Strukturen des Frauen.Kultur.Labors thealit selbst. Insofern schließt das Laboratorium direkt an die Programmatik von thealit an, die besagt: "thealit schafft für Interaktionen zwischen künstlerischer und theoretischer Reflexion geeignete Bedingungen. Es wird eine kritische Erforschung und experimentelle Veränderung der jeweiligen Praxen ermöglicht." Zugleich lädt das Laboratorium zu einem kritischen Blick auch auf diese ein. Immerhin zeigt sich rückblickend, dass innerhalb der über 20-jährigen Geschichte zumeist die Ordnung von Ausstellung und Symposium aufgerufen wurde und die künstlerische Reflexion mehr dem Ersten und die theoretische mehr dem Zweiten vorbehalten blieb. Jede künstlerische oder wissenschaftliche Arbeit ordnet sich in die vorangegangenen Arbeiten ein. Die Kunstgeschichte und die Wissenschaftsgeschichte geben eine Ordnung vor oder bieten sie eine Struktur? Vielleicht strebt jede künstlerische oder wissenschaftliche Arbeit an, die bisher erforschte oder entwickelte Struktur um eine Einheit zu erweitern? „Die Vielheit der Einheiten kann 'sich' also 'entsprechend einer solchen Ordnung arrangieren, dass die Schwierigkeit, die mit der Kenntnis des Messens selbst verbunden war, schließlich dahingehend aufgelöst wäre, allein von der einzigen Rücksicht auf ordnende Reihung bestimmt zu sein.“ (3) Um die Ordnung zu erforschen, werden auch diesmal die zwei unterschiedliche Präsentationsmöglichkeiten aufgerufen und den Beitragenden jeweils zur Wahl gegeben. Statt einer Konferenzsituation mit einer festen linearen Abfolge, zeitlich kurz getasteter Beiträge an einem Konferenz-Ort mit physischem Versammlungsort werden die Beiträge jeweils innerhalb vergebener Sendezeiten, von einem Sendeplatz aus, ohne gegenwärtiges Publikum, über UKW/ Radio öffentlich ausgestrahlt und dann an verabredeten Versammlungsorten im öffentlichen Raum gemeinsam über bereitstehende und mitgebrachte Radiogeräte angehört. Statt eine Ausstellung, in der sich zeitgleich eine Ansammlung von Arbeiten über einen längeren Zeitraum hinweg (Ausstellungsdauer) gegenüber steht, werden in kleinen Räumen innerhalb eines Gebäudes, künstlerische Positionen nacheinander in einem festgelegten Zeitrahmen (45 min.) präsentiert. Diese Räume werden somit nacheinander geöffnet, so dass stets nur ein Raum zugänglich ist. Die Vorgaben räumlicher und zeitlicher Setzung und Taklung sind ein Experiment, das zur Erforschung von und zum Ausbruch aus Ordnung // Struktur einlädt. Z. Schmidt und thealit 1 Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften 2 Michel Serres in: Hermes 1. La communication, S. 33 3 Michel Foucault, Les mots et les choses, Paris 1966, 67-68. Foucault zitiert aus: René Descartes, Regulae ad directionem ingenii [1637], XIV.) |