Anne Pretzsch & Simone Karl
Anne Pretzsch arbeitet als Performancekünstlerin, Autorin und Kuratorin. Sie entwickelt transprofessionelle, transgenerationelle Performances und partizipative Formate mit sozio-politischem Fokus. Sie ist Teil des Netzwerkes Forschung im Kinder- und Jugendtheater und vermittelt Wissen ua. für die Universität zu Köln, die Junge Triennale Ruhrtriennale, die Hochschule Osnabrück und das Goethe Institut. Gemeinsam mit Lisa Florentine Schmalz leitet sie das WE PRESENT Festival für Junge Hamburger Performance am LICHTHOF Theater Hamburg. Aktuell promoviert sie an der HfbK Hamburg.
Simone Karl arbeitet als bildende Künstlerin mit den Medien Installation, Skulptur, Collage, Objekt und Text. Sie erforscht die Widerständigkeit verletzlicher Körper und verbindet scheinbar widersprüchliche Zustände wie Abwehr und Anziehung oder Verführung und Gefahr. Ihre Arbeiten wurden in diversen Ausstellungen im In- und Ausland gezeigt. Unter anderem: lokal_30 (PL), Goyki3 Art Inkubator (PL), Kunsthaus Erfurt, Kunsthaus Hamburg, Kunstverein Gastgarten, Kunsthalle Wilhelmshaven, Galerie in der Wassermühle Trittau, Michael Cacoyannis Foundation (GR) und Kunstverein Erlangen. Derzeit arbeitet sie als Gastkünstlerin im Hamburger Goldbekhof.
Unvollständige Liste aller Versuche, die wir unternommen haben, um (endlich) die Leerstelle in uns zu füllen.
hellobetter.de empfiehlt gegen innere Leere: Achtsamkeit, neue Erlebnisse und eine Therapie. Wenn der Artikel gute Denkanstöße gegeben hat, darf man mit einem Daumen nach oben bewerten. Manchmal helfen auch Atemübungen. Wir können sagen: Wir haben viel mehr unternommen! Viel, viel mehr! Wir haben gekauft, gecremt, geputzt, gevögelt und gestritten. Und bewerten mit zwei Daumen nach unten. Wir wollen (endlich) verlernen, Leere als etwas zu verstehen, das gefüllt werden muss.
Dieser Gedankengang der Begriffe des Füllens und der Fehlstelle ist ein patriarchal geprägter und er macht uns müde und erschöpft. Es fehlt uns an nichts, nur an ein paar grundlegenden Dingen. Die Leere nicht als etwas zu verstehen, das gefüllt werden muss/ oder kann: das Loch, was man in sich trägt, muss nicht „gestopft“ werden, es mangelt nicht an romantischer Liebe.
Die Fehlstellen entstehen und wachsen aus immer neuen Samen des Systems. Ein ewiges Loch. Eine Lücke: Single-Sein, noch nicht schön genug, noch nicht erfolgreich, no money, no fun. Wir brauchen: sportlich, beliebt und geliebt, Pistaziencroissant und viel Me-Time. Diese konstruierte Fehlstelle zeigt sich als Gefühl des Mangels. Als eine Entzündung, die sich nach und nach ausbreitet. Als ein Loch im Bauch. Als eine Depression. Und wir versuchen immer noch, diese Löcher zu stopfen.
Wir wollen uns vom Stopfen verabschieden und liebevoll zurückblicken auf alle gescheiterten Versuche in der Einsicht, dass es nicht unsere Löcher sind, dass der Mangel keiner ist, der gelöst werden kann, dass das System erkrankt ist und nicht wir. Wir wollen unsere eigenen Denkmuster queeren und aufgeben, uns selbst aufzugeben - Der Idee einer Fehlstelle, unseren eigenen Strategien des „Stopfens“ auf die Spur kommen und gleichzeitig damit beginnen, die Leere akzeptieren. Denn sie ist Teil der Verwundung durch ein kapitalistisch-patriarchales System. Und wir wollen das gemeinsam, mit gnädigem Humor gegenüber einem verletzlichen und verletzen Selbst.
In unserer 1-tägigen Intermission im thealit Arbeitszimmer wollen wir gemeinsam mit den Teilnehmenden über diese (erdachten und empfundenen Fehlstellen) sprechen, uns mit Strategien des „Füllens“ und „Stopfens“ beschäftigen und eine unvollständige, ewige Liste dieser Strategien sammeln. Auf dass wir uns künftig anders entscheiden und diese Dynamiken aufmerksam bemerken.
In einer Lecture Performance laden wir die Besuchenden dazu ein, ebenjene Liste mit eigenen Strategien aus dem Arbeits- Beziehung- und Gesellschaftsalltag zu erweitern. Auch im Nachklang soll diese Liste online ergänzbar sein und theoretisch unendlich fortgeführt werden kann.
Mehr von Anne Pretzsch:
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