Elisabeth Strowick
Wiederholung und Performativität. Rhetorik des Seriellen
Ausgang
In den Reden über Wiederholung wiederholen sich gewisse Fragen, - Fragen nach Identität, Differenz, Ursprung, Original, Bewegung, die sich gern zu der einen, wiederholten Frage verdichten: 'Gibt es die Wiederholung?' Oder in leichter Variation: 'Ist eine Wiederholung möglich?' So jedenfalls lautet die Frage, die Constantin Constantius, den Verfasser einer Schrift mit dem Titel "Die Wiederholung. Ein Versuch in der experimentierenden Psychologie", erschienen am 16. Oktober 1843 in Kopenhagen - und damit am selben Tag wie "Furcht und Zittern. Dialektische Lyrik von Johannes de Silentio" und "Drei Erbauliche Reden" von Sören Kierkegaard - dazu bewegt, nach Berlin zu reisen. "Als ich mich", schreibt Constantin Constantius, "zumindest gelegentlich, längere Zeit mit dem Problem beschäftigt hatte, ob eine Wiederholung möglich sei und welche Bedeutung diese habe, ob etwas durch Wiederholung gewinne oder verliere, fiel es mir plötzlich ein: Du kannst ja nach Berlin reisen, da bist du früher schon einmal gewesen, und nun überzeuge dich, ob eine Wiederholung möglich ist und was sie zu bedeuten hat. Bei mir zu Hause war ich mit diesem Problem nahezu ins Stocken geraten."[1] Nach beschwerlicher Reise in Berlin angekommen findet Contantin Constantius alles verändert vor. Der Wirt hat 'sich verändert', d.h. verheiratet. Und im Königstädter Theater', in welchem sich Constantin Constantius oftmals königlich bei Nestroys 'Talismann' amüsiert hatte, wird zwar wieder der 'Talismann' gegeben, doch vermag nichts, ihn zum Lachen zu bringen. "Eine halbe Stunde hielt ich aus, dann verließ ich das Theater und dachte: es gibt überhaupt keine Wiederholung."[2] Am nächsten Abend passiert dasselbe: "Das einzige, was sich wiederholte, war die Unmöglichkeit einer Wiederholung."[3] "Als dies sich einige Tage wiederholt hatte, wurde ich so verbittert, so satt der Wiederholung, daß ich beschloß, wieder nach Hause zu reisen. Meine Entdeckung war nicht bedeutend, und doch war sie bemerkenswert; denn ich hatte entdeckt, daß es überhaupt keine Wiederholung gab, und dessen hatte ich mich vergewissert, indem ich dies auf alle möglichen Weisen wiederholte."[4] Mit diesem Ergebnis nach Kopenhagen zurückgekehrt richtet sich Constantin Constantius in aller nur denkbaren Monotonie und Konstanz ein. Ende des Berlinexperiments, doch ist dies - wen wundert's - nicht einmal die halbe Wahrheit der Wiederholung. Die Wiederholung ist für Kierkegaard (dies ein Pseudonym von Constantin Constantius) keine Angelegenheit von Konstanz, sondern von Performanz.[5]
Die Wiederholung wandert durch die Diskurse und findet sich entsprechend in unterschiedlichen Variationen wieder. Über die Fragen nach Allgemeinem, Einzelnem, Bewegung, Konstanz situiert Kierkegaard die Wiederholung in einem spezifischen Verhältnis zur Metaphysik. Kierkegaard führt die "neue Kategorie" der Wiederholung als explizite Metaphysikkritik, insbesondere als radikale Kritik an Hegels Denken der Bewegung ein. "... die Wiederholung", heißt es, "ist das Interesse der Metaphysik und zugleich das Interesse, an dem die Metaphysik strandet"[6]. Dabei fällt eine diskursive Verortung von Kierkegaards Wiederholungsschrift nicht eben leicht, die sich als Grenzgang zwischen Literatur, Philosophie, Theologie und Psychologie beschreiben ließe. Ein weiterer Grenzgang-Diskurs, der sich mit der Wiederholung, zunächst wohl nur zögerlich, später jedoch umso williger befaßt, ist die Psychoanalyse. Schließlich ist es die Wiederholung / Wiederholung traumatischer Ereignisse, die Freud 1919 ("Das Unheimliche") / 1920 ("Jenseits des Lustprinzips") zur Annahme eines Jenseits des Lustprinzips und Einführung des Todestriebes veranlaßt. Als Wiederholungzwang erfährt die Wiederholung hier eine theoretische Verknüpfung mit dem Begriff des Traumas. In Lacans strukturalistischer Relektüre Freuds wird das in der Wiederholung zum (Ent-)Zuge kommende traumatische Moment, m.a.W.: die Wiederholung als Bewegung eines strukturellen Fehlgehens / einer traumatischen Verfehlung / Differenz, zum Angelpunkt der Theorie bzw. Ethik des Begehrens. Lacan liest die Wiederholung im Rahmen der Struktur des Symbolischen[7], - Akt der Symbolisierung, der zugleich das Trauma der Signifikation wiederholt (fort-da) und derart die Grenze der Repräsentation artikuliert. Die linguistische Wende (linguistic turn), von der Lacans Reformulierung der Wiederholung als sprachliche Struktur zeugt (und die sich sowohl bei Freud als auch bei Kierkegaard ankündigen mag), eröffnet gänzlich neue Perspektiven auf die und für eine Wiederholung: Behandelte die traditionelle Literaturwissenschaft die Wiederholung als sprachliches Gestaltungsmittel im Rahmen von Rhetorik[8] oder Erzähltheorie, erfährt das Denken der Wiederholung im Poststrukturalismus eine Verschiebung hin zur Struktur der Sprache, d.h. zum Medium selbst. Die Wiederholung wird - so beispielsweise bei Derrida - zum strukturellen Merkmal jedes Zeichens und damit zur Bezeichnung der dekonstruktiven Selbstreferentialität von Sprache. Die Verschränkung von Wiederholung und Zeichen / Sprache geht mit einer Sprachauffassung einher, die Sprache nicht auf Ursprung und Signifikat zentriert, d.h. als Repräsentation begreift, sondern als differentielle Struktur denkt, in der sich die Ausstreichung jeglicher Vorgängigkeit von Sinn und Ursprung, d.h. metaphysischer Kategorien, vollzieht. Sprich: Der Einsatz der Wiederholung als Metaphysikkritik, wie er bereits bei Kierkegaard statthat, findet sich im Rahmen dekonstruktiver Sprachkritik wieder. Im Zusammenhang mit der Wiederholungsstruktur der Sprache und der damit verbundenen Kritik an der Logik der Repräsentation steht ein spezifisches Denken der Performativität der Sprache / der Sprache als Performanz. Über keinen anderen Begriff als über den der Wiederholung erfolgt die kritisch-dekonstruktive Bezugnahme auf die von Austin begründete Theorie der Sprechakte. Ausgehend von der grundsätzlichen Wiederholungsstruktur des Zeichens / der Sprache denken Derrida, Felman und Butler den Sprechakt / performativen Akt als Wiederholungsakt, womit die Wiederholung nicht nur einen performativen Aspekt gewinnt, sondern zugleich zu einem explizit politischen Begriff avanciert. Ob als Handlungsvermögen, Parodie, Identifizierung, ist die Wiederholung strukturierendes Prinzip von Butlers feministischer Politik des Performativen, Möglichkeitsbedingung subversiver Geschlechterperformanzen. Die Etablierung der Wiederholung als Performativität ist nicht die erste Verknüpfung der Wiederholung mit dem politischen Feld. Auch Deleuze / Guattaris politisches Konzept der Wunschmaschinen - als marxistische Kritik an der Psychoanalyse und Identitätsphilosophie - verdankt sich der Wiederholung als Differenz[9]. In der diskursiven Wiederholung der Wiederholung / ihrer Wanderung durch die Diskurse wiederholt sich ein kritischer Zug. Ob Metaphysikkritik, Kritik an der Logik der Repräsentation, marxistische Gesellschaftskritik, feministische Kritik, - die Wiederholung beschreibt eine Figur von Kritik. Ließe sich hiervon ausgehend auch die Serie als kritische Strategie denken?
Es existiert gemeinhin die Vorstellung, - und mein Text wiederholt sie ein weiteres Mal -, daß Serialität etwas mit Wiederholung zu tun hat. Angesichts der Vielzahl von Wiederholungs- und Serienbegriffen werde mich darauf beschränken, einige Überlegungen zur Rhetorik des Seriellen anhand einer dekonstruktiv-psychoanalytischen Lektüre des Verhältnisses von Wiederholung und Performativität zu entfalten. Wie ließe sich die Rhetorik des Seriellen / Serialität in ihrer Rhetorizität ausgehend von der Wiederholung denken? Wenn ich hier von 'Rhetorik' spreche, zitiere ich den Rhetorikbegriff Paul de Mans, nach dem Rhetorik keine intentionale Wortgewandtheit oder Technik der Persuasion bezeichnet, sondern die aporetische Struktur der Sprache, die über den "double-bind von Figuration und Defiguration"[10] / konstativ und performativ jeden Text seiner eigenen Dekonstruktion preisgibt und entsprechend eine dekonstruktiv-reflektierende Lektüre von Theoremen / Ideologien / Diskursen ermöglicht. 'Rhetorisch' meint nicht, so de Man, "wenn wir auf der einen Seite eine buchstäbliche Bedeutung und auf der anderen eine figurative erkennen, sondern wenn es unmöglich ist, mit Hilfe grammatischer oder anderer sprachlicher Hinweise zu entscheiden, welche der beiden Bedeutungen (die miteinander inkompatibel sein können) den Vorrang hat. Rhetorik ist die radikale Suspension der Logik und eröffnet schwindelerregende Möglichkeiten referentieller Verirrung."[11]
Angesichts gegenwärtig einflußreicher poststrukturalistischer Sprach- bzw. Literaturtheorien, feministischer Theorien und Performativitätsdiskussionen, aber auch mit Rücksicht auf die 90er Jahre - das Jahrzehnt der revivals -, könnte man sagen: Die Wiederholung hat Konjunktur. Wo sich die 90er ihrem Ende neigen, mag sich die Frage einstellen, was nach der Wiederholung kommt. Die Antwort lautet: Nach der Wiederholung kommt die Wiederholung.
Austin: Ankündigung der Auszehrung des Performativs
Daß Sprache und Handlung einander nicht ausschließen, sondern miteinander verschränkt sind, anders gesagt, daß Sprache Handlungen vollzieht / performativ ist, ist der Gedanke, den John L. Austin in seiner Theorie der Sprechakte ("How to do things with words"), auf die die neuere Diskussion um Performativität zurückgeht, entwickelt. Meine nachfolgende Darstellung setzt den Akzent auf das Verhältnis von Performativität und Wiederholung, d.h. auf die Frage, wie sprachliche Handlungen / Sprechakte als Wiederholungsakte zu denken sind.
Austin stellt den Handlungscharakter von Sprache heraus, sprich: die Tatsache, daß Sprache nicht nur zur Beschreibung der Welt dient ("deskriptive[r] Fehlschluß"[12]) bzw. nicht auf wahre und falsche Aussagen ("konstative Äußerung[en]"[13]) zu reduzieren ist, sondern Handlungen vollzieht (to perform = vollziehen). In welchem Sinne läßt sich davon sprechen, daß sprachliche Äußerungen Handlungen vollziehen? Performative Äußerungen sind Äußerungen, die die grammatische Form von Tatsachenfeststellungen haben, jedoch keine Tatsachen beschreiben, sondern diese schaffen, z.B. "a. Ja (sc. ich nehme die hier anwesende XY zur Frau)" als Äußerung im Laufe der standesamtlichen Trauung. b. "Ich taufe dieses Schiff auf den Namen 'Queen Elizabeth'" als Äußerung beim Wurf der Flasche gegen den Schiffsrumpf. c. "Ich vermache meine Uhr meinem Bruder" als Teil eines Testamentes. d. "Ich wette einen Fünfziger, daß es morgen regnet."[14] "Ich verspreche, zu ..."[15]. Performative Äußerungen sind durch zwei Dinge charakterisiert: 1. der sprachliche Akt / Akt der Äußerung ist ein Handlungsakt / vollzieht eine Handlung ("den Satz äußern heißt: es tun"[16]); 2. die Äußerung ist nicht wahr oder falsch. Statt nach 'wahr oder falsch' lassen sich performative Äußerungen nach 'Glücken vs. Verunglücken' beurteilen. Austin entwirft eine "Lehre von den Unglücksfällen [infelicities]"[17] und nimmt als Bedingungen für das Glücken performativer Äußerungen an:
"(A.1) Es muß ein übliches konventionales Verfahren mit einem bestimmten konventionalen Ergebnis geben; zu dem Verfahren gehört, daß bestimmte Personen unter bestimmten Umständen bestimmte Wörter äußern. (A.2) Die betroffenen Personen und Umstände müssen im gegebenen Fall für die Berufung auf das besondere Verfahren passen, auf welches man sich beruft. (B.1) Alle Beteiligten müssen das Verfahren korrekt (B.2) und vollständig durchführen. ... Sündigen wir gegen eine oder mehrere von diesen ... Regeln, dann ist unsere performative Äußerung in der einen oder anderen Weise verunglückt [unhappy]."[18]
Austins Unterscheidung von Glücken vs. Nicht-Glücken bemißt sich an der Konventionalität sprachlicher Handlungen, was für ihn zugleich heißt, daß nicht nur performative Akte, sondern alle konventionalen Handlungen der Möglichkeit des Verunglückens ausgesetzt sind[19]. In einem weiteren Schritt bedeutet dies aber auch, daß alle Äußerungen, sprich: auch konstative Äußerungen (die Unterscheidung performativ / konstativ wird eben hierüber zu problematisieren sein), verunglücken können, da mit Saussure jedes sprachliche Zeichen auf Arbitrarität / Konventionalität beruht. Obgleich Austins Begriff von Konventionalität keine Engführung von sprachlichem Code / Konventionalität bzw. Arbitrarität des Zeichens und Konvention der Handlung (die für Austin 'außersprachlich' ist[20]) vornimmt, - wie dies strukturalistisch, z.B. mit Claude Lévi-Strauss geboten wäre[21] -, liegt in einer solchen die Anknüpfungsmöglichkeit für strukturalistische bzw. poststrukturalistische psychoanalytische und feministische Theorien an Austins Theorie der Fehlschläge. Der Begriff der Konvention, den Austin anhand performativer Äußerungen bezüglich seines Scheiterns / Verunglückens problematisiert, und der sich als generelles Kennzeichen sprachlicher Zeichen lesen läßt, eröffnet nicht nur Bezüge zu Freuds Fehlleistungen, die das Verunglücken jeglicher Form sprachlicher Äußerungen zur Genüge zu lesen geben, sondern bildet auch die Grundlage für Derridas dekonstruktive Lektüre des performativen Aktes als Akt der Wiederholung[22] oder Butlers Politik des Performativen. Obgleich Austin die Möglichkeit des Verunglückens und andere Übel, die sprachliche Äußerungen befallen können, aufführt, namentlich einige, die unter der von ihm sogenannten "Lehre der Auszehrung" rangieren und ein "parasitäres" Moment von Sprache ins Spiel bringen, mit dem sich eine Performanz ganz anderer Art eröffnet - Formen des Zitieren, Rezitierens, schauspielerischer Rede -, schließt er sie in seiner theoretischen Beschreibung performativer Akte aus, die er an "normalen Umständen" und der Intention des Sprechers / der Sprecherin ausrichtet.
"... unsere performativen Äußerungen [sind, E.S.] als Äußerungen gewissen anderen Übeln ausgesetzt, die alle Äußerungen befallen können. ... Ich meine zum Beispiel folgendes: In einer ganz besonderen Weise sind performative Äußerungen unernst oder nichtig, wenn ein Schauspieler sie auf der Bühne tut oder wenn sie in einem Gedicht vorkommen oder wenn jemand sie zu sich selbst sagt. Jede Äußerung kann diesen Szenenwechsel in gleicher Weise erleben. Unter solchen Umständen wird die Sprache auf ganz bestimmte, dabei verständliche und durchschaubare Weise unernst gebraucht, und zwar wird der gewöhnliche Gebrauch parasitär ausgenutzt. Das gehört zur Lehre von der Auszehrung [etiolation] der Sprache. All das schließen wir aus unserer Betrachtung aus. Ganz gleich, ob unsere performativen Äußerungen glücken oder nicht, sie sollen immer unter normalen Umständen getan sein."[23] "Ohne dauernd daran zu erinnern, müssen wir doch immer im Auge behalten, daß eine "Auszehrungs"erscheinung auftreten kann, so wie beim Gebrauch der Rede zum Schauspielen, in Poesie und (dichterischer) Prosa, beim Zitieren und Rezitieren."[24]
Austins Theorie performativer Akte bedarf 'normaler Umstände' / der Konvention als vorgängiger Bezugsgröße. Was aber - ließe sich mit Derrida oder Butler fragen -, wenn alles Sprechen / Sprechhandeln Zitieren / Rezitieren / Wiederholung von Konventionen / Kodierungen, d.h. Rekodierung / Resignifikation von Konventionen wäre? Wie wären performative Akte ausgehend von der Auszehrung der Sprache / ihrem parasitären Zug her zu denken? Und wie würden sich Auszehrung und konstitutives Verunglücken der Konvention verbinden? Was Austin um der "normalen Umstände" / d.h. um der Norm willen aus seiner Theorie der Sprechakte verwirft, ist schlicht gesagt die Wiederholung, genauer: die Wiederholung als Figur von Differenz, die Wiederholung von Differenz mit all ihren (Ent)-Zügen von Unheimlichkeit und Auszehrung. Eben hier aber setzen Derridas, Felmans und Butlers Austin-Lektüren ein.
Zeichen der Wiederholung
"Denn es gibt kein Wort, noch ganz allgemein ein Zeichen, das nicht durch die Möglichkeit seiner Wiederholung konstruiert ist. Ein Zeichen, das sich nicht wiederholt, das nicht schon durch die Wiederholung in seinem "ersten Mal" geteilt ist, ist kein Zeichen."[25] Die strukturelle Verschränkung von Zeichen und Wiederholung, die Derrida - hier im übrigen in einem Text zu Artauds Theater der Grausamkeit, d.h. mit einem Sujet befaßt, welches Austins Theorie des Performativen gerade ausschließt, einem Theater, welches zudem die Frage der Repräsentation in radikaler Weise problematisiert und ein ausgesprochen schwieriges Verhältnis mit der Wiederholung unterhält - herausstellt, bestimmt auch seine Austin-Lektüre. Derrida nimmt die Zitierbarkeit, die immer auch Übertragbarkeit bedeutet, und den damit verbundenen Bruch mit dem Kontext als strukturelles Merkmal jedes Zeichen / jeder Lokution / jedes Sprechaktes an:
"Jedes ... Zeichen kann als kleine oder große Einheit zitiert, in Anführungszeichen gesetzt werden; dadurch kann es mit jedem gegebenen Kontext brechen, unendlich viele neue Kontexte auf eine absolut nicht saturierbare Weise erzeugen. Dies setzt nicht voraus, daß das Zeichen (marque) außerhalb von Kontext gilt, sondern im Gegenteil, daß es nur Kontexte ohne absolutes Verankerungszentrum gibt. Diese Zitathaftigkeit, diese Verdoppelung oder Doppelheit, diese Iterierbarkeit des Zeichens (marque) ist kein Zufall und keine Anomalie, sondern das (Normale/Anormale), ohne welches ein Zeichen (marque) sogar nicht mehr auf sogenannt "normale" Weise funktionieren könnte. Was wäre ein Zeichen (marque), das man nicht zitieren könnte? Und dessen Ursprung nicht unterwegs verlorengehen könnte?"[26]
Wo Derrida Zitierbarkeit / Verdoppelung / Iterierbarkeit, sprich: die Wiederholung als strukturelles Merkmal jedes Zeichens und des mit ihm verbundenen performativen Aktes einklagt, nimmt er die Frage nach Performativität gerade von jener Seite der Sprache auf, die Austin - als nicht den "normalen Umständen" angehörig - ausgrenzt. Derrida liest das Performative nicht als "Beförderung oder ... Übermittlung eines Bedeutungsinhalts, sondern gewissermaßen [als, E.S.] die Mitteilung (communication) einer ursprünglichen (in einer allgemeinen Theorie des Handelns zu definierenden) Bewegung, einer Operation und das Hervorrufen einer Wirkung. Mitteilen (communiquer)", so Derrida, "hieße, im Fall des performative ... durch den Anstoß eines Zeichens (marque) eine Kraft mitzuteilen (communiquer)."[27]
Derrida faßt den performativen Akt nicht sematisch, sondern strukturell, als Mitteilung einer Kraft, die - gebunden an die Wiederholungsstruktur des Zeichens - immer schon verdoppelt / geteilt, sprich: von der paradoxen Struktur der Mit-Teilung ist. Qua Wiederholungs- bzw. Teilungsstruktur aber bleibt sich der performative Akt nicht nur 'selbst' entzogen und artikuliert sich sein irreduzibler Mangel an Selbstidentität, sondern vollzieht / wiederholt er zugleich seinen radikalen Entzug. Über Derridas Lektüre des Sprechaktes als Wiederholungsakt / Zitat, d.h. eben jene Bewegung, die Austin aus seiner Theorie der Sprechakte verbannt, ereignet / vollzieht sich die "parasitär"-performative "Auszehrung" des Performativs. Derridas dekonstruktive Lektüre gibt Performativität als "Auszehrung" / Wiederholung von Differenz / Produktion eines radikalen Entzugs an Selbstgewißheit zu denken. Der Bruch mit dem Kontext ist dem performativen Akt - als Akt der Zitation - nicht äußerlich, sondern strukturell inhärent. Von der Struktur der Wiederholung bricht der performative Akt mit dem Kontext, den er im Akt der Brechung / Zitation zugleich konstituiert. Mit einer solch differentiellen Kontextproduktion / vervielfältigenden Teilung / Unterbrechung des Kontextes produziert der performative Akt, wie ihn Derrida von der Wiederholung her denkt, die radikale Unverfügbarkeit / Unabschließbarkeit des Kontextes und läßt ihre Begründung in der Intention des sprechenden Subjekts problematisch werden. Wie, wo der Kontext der sprachlichen Äußerung der / dem Sprechenden unverfügbar ist, einen performativen Akt vollziehen, z.B. versprechen? Ja, um die Schraube noch ein Stück weiter zu drehen: Wie Performativität von jener schwindelerregenden Wiederholungsstruktur her denken, mit der der Akt jede Intention übersteigt und sich selbst verfehlt? Derrida denkt den performativen Akt / die Möglichkeit des Performativs von eben dieser ihm inhärenten Unmöglichkeit her:
"... wäre eine performative Äußerung möglich, wenn kein Zitat als Double die reine Einmaligkeit des Ereignisses spaltete, von sich selbst trennte? ... Könnte eine performative Äußerung gelingen, wenn ihre Formulierung nicht eine "codierte" oder iterierbare Äußerung wiederholte, mit anderen Worten, wenn die Formel, die ich ausspreche, um eine Sitzung zu eröffnen, ein Schiff oder eine Ehe vom Stapel laufen zu lassen, nicht als einem iterierbaren Muster konform, wenn sie also nicht in gewisser Weise als "Zitat" identifizierbar wäre? ... In dieser Typologie wird die Kategorie der Intention nicht verschwinden, sie wird ihren Platz haben, aber von diesem Platz aus wird sie nicht mehr den ganzen Schauplatz und das ganze System der Äußerung beherrschen können. ... ist diese Struktur der Iteration einmal gegeben, so wird die Intention, welche die Äußerung beseelt, sich selbst und ihrem Inhalt nie vollkommen gegenwärtig sein. Die Iteration, die sie strukturiert, führt a priori in sie eine wesentliche Dehiszenz und einen wesentlichen Bruch ein."[28]
Wenn Derrida Austins Theorie performativer Akte von ihrem als 'parasitäre Auszehrung' der Sprache verworfenen Anderen, sprich: von der Frage nach Wiederholung / Zitat, her wieder aufnimmt, ist damit die Problematisierung / Dekonstruktion einer intentionalen Begründung sprachlicher Akte verbunden, wie sie Austin - und insbesondere Searle - vorschwebt. Wohl schafft Derrida die Kategorie der 'Intentionalität' nicht ab, doch beschränkt er ihren Geltungsbereich, indem er sie an die sie konstituierenden und zugleich überschreitenden sprachlichen Bedingungen verweist: "Was durch die Iterierbarkeit beschränkt wird, ist nicht die Intentionalität im allgemeinen, sondern ihr Bewußtseinscharakter oder ihre Selbstpräsenz (aktuell, voll und adäquat), die Einfachheit ihres Merkmals [trait, auch Zug], ihre Unteilbarkeit."[29] Die Wiederholungsstruktur des performativen Aktes sucht die Intentionalität heim, die fortan nicht mehr als selbstpräsente Begründungsinstanz herhalten kann. Der im Akt qua Brechung, d.h. als vervielfältigt-selbstentzogener konstituierte Kontext der Äußerung übersteigt den Sprechenden / die Intention des Sprechenden in jeder Hinsicht. Die Übermäßigkeit des Aktes ist der unverfügbare Kontext jedes Performativs, den Derrida anhand des Versprechens beschreibt:
"... man verspricht immer zuviel. Was heißt "zuviel versprechen?" Ein Versprechen ist immer übermäßig. Ohne dieses wesentliche Übermaß würde es auf eine Beschreibung oder eine Erkenntnis der Zukunft hinauslaufen. ... Aber diese "zuviel" eines Versprechens gehört nicht dem (versprochenen) Inhalt eines Versprechens an, welches zu halten ich nicht in der Lage wäre. Genau in die Struktur des Aktes des Versprechens schreibt das Übermaß eine Art heilloser Verwirrung oder Perversion ein. Diese Perversion, die auch eine Falle ist, bringt zweifellos die Sprache des Versprechens, das Performativum als Versprechen, in Unordnung, aber sie macht sie auch möglich - und unzerstörbar."[30] "Die einzigartige Aporie, welche, wenn niemand den Akt beherrschen kann, wenn wir vor jeder aktiven Verplichtung unsererseits zu diesem Akt verpflichtet und von Beginn an diesem Akt in die Falle gegangen sind, diesen Akt zerteilt, besagt, daß die rhetorische Struktur der Sprache dem Akt unserer gegenwärtigen Initiative vorhergeht und - wenn das zu sagen möglich ist - "älter" ist als dieser Akt. Es ist ein Factum, ein "fact" der Sprache, welche die Unmöglichkeit des Versprechens gestiftet hat. Über dieses Faktum haben wir keine Kontrolle. Dieses Faktum ist kein natürliches, es ist ein Artefaktum, das aber für uns ... immer schon da ist, als eine Vergangenheit, die niemals gegenwärtig gewesen ist."[31]
Was der performative Akt artikuliert, ja, wiederholt, ist das Faktum, daß die rhetorische Struktur der Sprache der/dem Sprechenden irreduzibel vorausgeht. Jeder Sprechakt ist immer schon Wiederholung / Teilung / unmögliche Antwort / Verantwortung gegen seine 'eigene', auf ewig verfehlte und wiederholt produzierte unvordenkliche Vergangenheit, sprich: jeder performative Akt artikuliert zugleich seine'eigene' Unmöglichkeit und Unausweichlichkeit. Die Zeit des Versprechens ist die verfehlte Präsenz, die sich vor einer unvordenklichen Vergangenheit hin auf eine unkalkulierbare Zukunft verantwortet. Der performative Akt beschreibt das Paradox der Wahl / Wahlwiederholung. Von vornherein, d.h. noch vor jeder initiativen Verpflichtung zum Versprechen verpflichtet stellt sich das Versprechen als Wahl / Wiederholung einer Verpflichtung dar, die eine unvordenklich aufgegebene Verpflichtung ironisch unterläuft, ihr im selben Zuge antwortet und sie verfehlt, - Skandalon des Ver-Sprechens, dem ich im folgenden anhand der Konstellation von Sprechakttheorie und Psychoanalyse weiter nachgehen will.
Versprechen: Sprechhandlung - Fehlhandlung
Derridas dekonstruktive Lektüre des Performativs als Mitteilung einer Kraft durch Anstoß eines Zeichens / Bruch mit dem Kontext kommt ohne den Begriff des Signifikanten aus, der in einer Konstellation von Sprechakttheorie und Psychoanalyse aufgerufen wird. Psychoanalytisch ist die Performativität der Sprache / der performative Akt signifikantentheoretisch zu denken, was nahelegt, von einem Signifikanten auszugehen. Ein diesbezüglich signifikanter Signifikant findet sich mit dem 'Versprechen', das als paradigmatisch für performative Akte gelten kann. Shoshana Felman geht in ihrer Analyse literarischer Sprechakte[32], die die Frage nach dem Verhältnis von Psychoanalyse und Sprechakttheorie miteinbegeift, vom performativen Akt des Versprechens in so unterschiedlichen Kontexten wie Nietzsches "Genealogie der Moral", Austins Sprechakttheorie oder Molière's "Don Juan" aus, und ich will ihrem Ansatz zu Zwecken einer Konstellation von Austin und Freud folgen. Welche Akzentuierung erfährt der performative Akt des Versprechens angesichts eines Versprechens, in dem sich ein unsinniges Anderes zu Gehör bringt, dem Versprechen als Fehlleistung, wie es Freud beschreibt?[33] Versprechen als performativer Akt / Versprechen als Fehlleistung, der Signifikant 'Versprechen' paralysiert eine Auffassung von Versprechen und damit von Performativität, die die Intentionalität der/des Sprechenden voraussetzt. Ein Wort geben, das sich nicht weiß, scheint kaum als Versprechen gelten zu können, andererseits: wäre nicht eben dies das einzig mögliche Versprechen? Würde ein Wort, das sich weiß / vollständig intentional verfügbar wäre, nicht jede Gabe des Wortes / jedes Versprechen von vornherein ausschließen? Etwa so wie die Anwendung von Kriterien nicht hieße zu urteilen, sondern nicht zu urteilen? Wie urteilen?[34] Wie versprechen? Paradoxie der Gabe: zu geben, was man nicht hat[35], und so auch des Versprechens als Gabe des Wortes. Artikuliert der Signifikant des 'Versprechens' in seinem Changieren von Performativ und Fehlleistung, m.a.W. in seiner Rhetorizität, die Paradoxie des Versprechens? Und würde umgekehrt die aporetische-dekonstruktive Doppelbewegung der Sprache / ihre Rhetorizität als double-bind des Versprechens lesbar? Der Sprechakt - ein Versprechakt / Akt des Versprechens, der überdies die vielversprechende Opposition von konstativ und performativ, von der sich Austin im Verlauf seiner Überlegungen zu "How to do things with words" verabschiedet, dekonstruiert? Die Verschränkung von Performativität und Fehlleistung, wie sie im Signifikanten 'Versprechen' statthat, gibt die Fehlleistung zum einen als konstitutiv für Versprechen / Performativität, zum anderen in ihrer Performativität zu denken. Austins Lehre von den Unglücksfällen ausgehend von der Rhetorik des Unbewußten / der Fehlleistungen her zu lesen, hieße schließlich auch, sie der Auszehrung / Wiederholung anheimzugeben. Was bedeutet die konstitutive Funktion der Fehlleistung bzw. "Fehlhandlung"[36], wie Freud sie auch nennt, für die Sprechhandlung / das Performativ? Was hieße, sich im Akt des Versprechens zu versprechen? Was heißt hier 'sich versprechen'. In welchem Sinn ist jede Fehlleistung performativ, - ein Versprechen? Sprich: Artikuliert sich noch in jedem Unsinn, und möglicherweise vorzugsweise im Unsinn - als Tummelplatz des Signifikanten - ein Versprechen? Wo ich mich verspreche, verspreche ich. Wo ich verspreche, verspreche ich mich. 'Ich verspreche (mich)' ist in unterschiedlicher Weise lesbar: als performativer Akt des Versprechens, Fehlleistung, symbolischer Pakt (ich verspreche mich, wem? / dem Anderen). In den Worten de Mans: "Die Sprache verspricht (sich) [dtsch. i.O.]"[37] Oder psychoanalytisch: Der Signifikant verspricht (sich), - was die performative Dimension seiner Blödheit wäre.[38]
Die zweite Abhandlung der "Genealogie der Moral" - überschrieben mit "'Schuld', 'Schlechtes Gewissen' und Verwandtes" - beginnt mit den bekannten Worten: "Ein Tier heranzüchten, das versprechen darf - ist das nicht gerade jene paradoxe Aufgabe selbst, welche sich die Natur in Hinsicht auf den Menschen gestellt hat? ist es nicht das eigentliche Problem vom Menschen?"[39] Versprechen, das Humanum par excellence, - ein Problem, ein Paradox. Welche Paradoxie des Performativs artikuliert sich im Problem des Versprechens? Nietzsches "Genealogie der Moral" analysiert das Versprechen in seiner moralischen Funktion, Ausdruck eines 'Gedächtnisses des Willens' und 'souveränen Individuums', das die Einmaligkeit seines Wollens für die Zukunft festschreibt. Die dem Versprechen "entgegenwirkende Kraft", ihr "Gegenvermögen", ist die Vergeßlichkeit, womit sich Versprechen und Vergessen in ein Verhältnis gespannt sehen, welches genauer zu lesen bleibt. Nicht als moralisches Gegensatzverhältnis, in dem Vergessen vorsprachlich gefaßt ist, sondern in paradoxer Verschränkung sind Versprechen und Vergessen von der Psychoanalyse / der Rhetorik des Unbewußten / den Fehlleistungen her zu denken (ethisches Versprechen). Vergessen als Fehlleistung ist sprachlich strukturiert, an die (sich) versprechende Ambiguität des Signifikanten gebunden, Artikulation eines Wissens, das sich nicht weiß, womit sich nicht nur Vergessen und Versprechen, sondern auch Vergessen und Erinnern paradox miteinander verschränken. Was aber bedeutet es für das Versprechen, an ein Gedächtnis gebunden zu sein, das mehr (oder weniger) weiß, als es weiß, und sich obendrein im Vergessen artikuliert? Wie sollte ein Versprechen, das nicht weiß, was es weiß, - und entsprechend nicht wissen kann, was es verspricht -, sich nicht versprechen? M.a.W.: Nicht verspricht das Subjekt, was es weiß, sondern wo es sich nicht weiß, wird es sich, wo es verspricht, notwendig versprechen. Eine psychoanalytische Lektüre durchkreuzt eine Auffassung von Versprechen als intentionaler Akt eines selbstherrlich/selbstgewissen Sujekts und verweist sie an ein Paradox. Das Versprechen artikuliert das Paradox des Performativs / Performativität als Paradox: Paradox der Wiederholung, welches Felman anhand von Don Juans verführerischen Versprechungen, der Frage nach dem literarischen Sprechakt, entfaltet.
"Don Juan in fact lavishes promises right and left, and breaks them repeatedly. ... Don Juan obviously abuses the institution of promising. But what does this abuse signify about promising itself? ... The question ... is thus twofold: how does research on the performative shed light on the myth of Don Juan? but also, on the other hand, what light does the Don Juan myth shed on performative theory?"[40]
Worin liegt das Skandalöse von Don Juans Versprechen? Wohl in nichts anderem als in der Wiederholung / Serie, die mit dem wiederholten Bruch des (Ehe-)Versprechens und einer performativen Sprachauffassung zusammengeht. Während die von Don Juan Verführten das Versprechen intentional-konstativ deuten, es nach wahr und falsch bemessen, den 'Inhalt' des Versprechens vom Akt des Versprechens trennen und Don Juan der Lüge bezichtigen, radikalisiert Don Juan die Performativität des Versprechens. Don Juans Wiederholungen / wiederholten Brüche des Versprechens inszenieren die Performativität des Versprechens. Don Juans Versprechen rekurriert nicht auf ein Außerhalb der Sprache, auf keinen Glauben an eine konstativ-außersprachliche Wahrheit (dem es vielmehr eine entschiedene Absage erteilt), sondern findet einzig im sprachlichen Akt seinen unhaltbaren Grund. Die Wahrheit, die Don Juans Versprechen artikuliert, ist sprachlich verfaßt / performativ; Don Juans Versprechen verspricht letztlich nichts anderes als die Sprachlichkeit der Wahrheit und gibt derart den sprachlich-performativen Akt / die Setzung[41] als konstitutiv für alle Konstativität / Konstanz zu denken. Sprich: Die Wahrheit - und so auch die Wahrheit des Versprechens - erfährt ihre Begründung in einem Akt, der als solcher (in Anbetracht der Wiederholungsstruktur / Teilung des Zeichens) unverfügbar bleibt. Don Juans Versprechen setzen die performativ-unverfügbare Begründung der Wahrheit / der Wahrheit des Versprechens in Szene, die eine konstative Sprachauffassung, welche das Versprechen unter Maßgabe antizipierter Gewißheit in die moralische Pflicht nimmt, verleugnet. In ihrer skandalösen Attackierung einer moralische Auffassung von Versprechen werfen die Versprechungen Don Juans die Frage des Versprechens in radikaler Weise auf: Was geben die unzumutbaren Versprechen / wiederholten Versprechenbrüche Don Juans über das Versprechen zu lesen? Inwieweit verweisen sie auf ein Versprechen jenseits moralischer Intentionsgläubigkeit? Wie läßt sich ausgehend von Don Juans Verführungen das Paradox eines ethischen Versprechens denken, hantierend mit Wiederholung und Bruch? Das Versprechen von Don Juans skandalösen Versprechensbrüchen her zu denken ist ein vergleichbar-paradoxes Unterfangen, wie, die Ethik mit Rücksicht auf de Sade zu entwickeln, wie dies Lacan in seinem Seminar zur "Ethik der Psychoanalyse" tut.[42] Dabei sind Don Juans Versprechen ebensowenig dem Paradox eines ethischen Versprechens - welches im folgenden aus dem Begriff der Wiederholung entwickelt werden soll - gleichzusetzen, wie das perverse Begehren de Sades der psychoanalytischen Ethik des Begehrens. Gleichwohl aber artikulieren Don Juans wiederholt-gebrochene Versprechen den abgründigen (Ent-)Zug der Sprache, vor dem sich ein Denken des Versprechens resp. Performativs - wenigstens aus dekonstruktiv-psychoanalytischer Sicht - zu verantworten hat. Don Juans Inszenierung der Sprachlichkeit / Performativität der Wahrheit des Versprechens verweist eine moralische Auffassung des Versprechens an die Grenzen von Intention und antizipierbarer Gewißheit. Seine Versprechen artikulieren die jedem Akt des Versprechens inhärente Unmöglichkeit zu versprechen, die gleichwohl die einzige Möglichkeit zu versprechen gibt. "Das Versprechen ist unmöglich, aber unvermeidlich", schreibt Derrida in "Mémoires"[43].
Was ist das Verführerische am Versprechen, an Don Juans Versprechen wie an jedem anderen? Der performative Akt des Versprechens produziert einen imaginären Effekt, der kein anderer ist als die Illusion von Referenz / des Konstativs / der Konstanz. Das Spezifische der Verführung / der Versprechungen Don Juans liegt in ihrer Wiederholungsstruktur, die in einer Bewegung Konstanz verheißt und sie zugleich in einer gegenläufigen Bewegung und nach gut hysterischer Manier aufsitzen läßt, indem sie den Glauben an eine solche an seine performativen Bedingungen verweist, die eben keiner Konstanz des Ich, sondern allenfalls dem Begehren des Subjekts / Anderen unterliegen. Don Juans Versprechen / Verführungen folgen keiner Absicht, sondern dem mit dem Signifikanten verbandelten Begehren. Die Frage, die Don Juan aufwirft, ist - psychoanalytisch gesprochen - nicht: 'Was verspricht das Bewußte?', sondern: 'Wie verspricht (sich) das Unbewußte?'. Die Zeit des Begehrens aber ist nicht Gegenwart oder antizipierte Gewißheit, nach der es die Konstanz verlangt, sondern die Verfehlung / differentielle Zeitlichkeit des Futur II / Zukunft der Wiederholung ('Vorwärtserinnern'[44]). Im Sinne der Verfehlung der Präsenz / des Präsens im Begehren, die Don Juans Wiederholungen artikulieren, bezeichnet Felman Don Juan als Symptom der Perversion, die dem Versprechen innewohnt. Ich zitiere Felman: "Constituted by the act of anticipating the act of concluding, the promise is symptomatic of the noncoincidence of desire with the present. If Don Juan "fails to keep his word," it is because his word, his promise, is at the outset constituted by the act of failing, missing: missing (failing) the present. Don Juan himself is thus only the symptom of a perversity inherent the promise."[45]
Gehen wir der Frage der Wiederholung noch etwas genauer nach: Indem Don Juan das Versprechen wiederholt, unterläuft er eine moralisch-konstative Auffassung des Versprechens, wie sie sich im Eheversprechen inkarniert, performativ. Qua Versprechenspraxis tut Don Juan in gewissem (eingeschränkten) Sinne also genau das, was Derrida in seiner Austin-Lektüre macht: Er höhlt eine intentional-konstative Auffassung von Performativität von jenem Moment 'parasitärer Auszehrung' / Wiederholung her aus, das von dieser ausgegrenzt wird. Das moralische (Ehe-)Versprechen verlangt Einmaligkeit, und zwar eine Einmaligkeit / Einzigartigkeit, die in Opposition zur Wiederholung steht. Don Juan tut das Unmögliche / Untersagte: Er wiederholt / bricht wiederholt sein Versprechen. Auf diese Weise inszeniert er nichts anderes als die perverse Struktur jedes Versprechens: an den sprachlichen Akt / die Wahrheit der Sprache / des Signifikanten gebunden ist der Bruch (Bruch mit dem Kontext) dem Versprechen nicht äußerlich, sondern strukturell inhärent.
Wo Don Juans wiederholte Versprechen die Ehe verweigern, ruinieren sie zugleich eine spezifische, für das moralische Performativ verbindliche Autoritätsstruktur: die Autorität der ersten Person (Ich /'Ich verspreche'), das intentionale Subjekt. Ich zitiere Felman:
"Now it is precisely the repetition of promises that, in the Don Juan myth, subverts their authority. "The performative utterance, being an act, has the property of being unique. It cannot be produced except in special circumstances, at once and only one time ... Being an individual and historical act, a performative utterance cannot be repeated" (Benveniste, p. 236; his emphasis). If Don Juan subverts the uniqueness of the promise by repeating precisely the promise of uniqueness - the promise of marriage, the supremely unique act - it is in order to ruin not the performance of language, but its authority. ... Now it is precisely the authority of the first person that Don Juan subverts, by parasitizing the performative through the infinite repetition of his promises of marriage. For the first person, too, takes its authority only from the ordinal hierarchy, from the founding value of the "first" in which ... Don Juan does not believe ... Don Juan ... deconstructs the First through Number. The multiplication of promises brings out the division inherent in the first person. The first person is thus itself subject to the cardinal law of number, that is, to the repetition of breaches."[46]
Wo Don Juans das Versprechen qua Wiederholung an sich selbst als sprachlichen Akt / an die Selbstreferentialität[47] der Sprache verweist, verweist er zugleich das intentionale Subjekt, das da sagt: "Ich verspreche" an den Signifikanten / an die Wiederholungs-, d.h. Teilungsstruktur des Zeichens. Es gibt keinen'ersten Signifikanten', der welches Versprechen / welchen Akt auch immer autorisieren könnte. Die einzige, den Akt autorisierende Struktur ist die arbiträr-differentielle - den Kontext vervielfältigende, d.h. entziehende - Struktur des Signifikanten (Lacan) bzw. Zeichens (Derrida), Wiederholung von Differenz / Entzug, die das Begehren des Subjekts, das der Sprache unterworfen ist, in Gang hält. Was Freuds Lektüre der Fehlleistungen zu lesen gibt, ist, daß die Bewegungen des Signifikanten das Versprechen als Lapsus erzeugen, - was nicht heißt, daß das Subjekt für das gegebene Wort / Versprechen nicht verantwortlich wäre, wohl aber, daß sich seine Verantwortung im Paradox der Performativität / Wiederholung verortet, wie Judith Butler es in ihrem Konzept des Handungsvermögens formuliert. Ich zitiere Butler:
"Wer handelt (d.h. gerade nicht das souveräne Subjekt), handelt genau in dem Maße, wie er oder sie als Handelnde und damit innerhalb eines sprachlichen Feldes konstituiert sind, das von Anbeginn an durch Beschränkungen, die zugleich Möglichkeiten eröffnen, eingegrenzt wird."[48] ""Handlungsvermögen" wäre dann die Doppelbewegung des in einem und durch einen Signifikanten Konstituiertwerdens, wobei "konstituiert zu werden" bedeutet, "gezwungen zu sein", den Signifikanten selbst "zu zitieren oder zu wiederholen oder nachzuahmen". Ermöglicht von dem gleichen Signifikanten, der zu seiner Fortsetzung auf die Zukunft jener zitatförmigen Kette angewiesen ist, ist das Handlungsvermögen der Hiatus in der ständigen Wiederholbarkeit, der Zwang, eine Identität durch Wiederholung zu installieren, die gerade die Kontingenz, das nicht-determinierte Intervall erfordert, das die Identität hartnäckig zu verwerfen trachtet."[49] "Tatsächlich ist der Sprecher gerade wegen des Zitatcharakters des Sprechens für seine Äußerung verantwortlich. Der Sprecher erneuert die Zeichen der Gemeinschaft, indem er dieses Sprechen wieder in Umlauf bringt und damit wiederbelebt. Die Verantwortung ist also mit dem Sprechen als Wiederholung, nicht als Erschaffung verknüpft."[50]
Bezüglich der Verantwortung für das gegebene Wort / Versprechen kann sich die/der Sprechende nicht auf das Ich / die 1. Person zurückziehen. Imaginärer Effekt der differentiellen Struktur des Signifikanten ist das Ich ein Versprechen, das als seine Wahrheit mit Sicherheit hält, eine Täuschung zu sein. Don Juans wiederholte Versprechen geben zu lesen, daß das Versprechen nicht der ersten Person gehorcht, sondern der Wiederholung / der Zahl (Arbitrarität / Selbstreferentialität), kurz: dem Gesetz der Serie. Welchart Serie / Wiederholung aber unterstellt Don Juan das Versprechen / den performativen Akt? Felman zitiert aus Molières "Don Juan" (ich zitiere die deutsche Übersetzung):
"'Sganarell: Sie sind ein eingefleischter Zweifler ... Ist es möglich, daß Sie gar nicht an das Himmelreich glauben? ... Aber an irgend etwas in der Welt muß man schließlich doch glauben. Woran also glauben Sie? Don Juan: Woran ich glaube? ... Ich glaube, daß zwei und zwei vier und daß vier und vier acht ist. Sganarell: Schöne Glaubensartikel das! Ihre Religion ist demnach, wie ich sehe, die Arithmetik."[51] Felman liest: "[1]. I believe in Arithmos, in Numbers, in quantification [quantity as opposed to quality], in the art of calculating, in the properties of rational numbers. [2]. I believe in a truth that is obtained only from the reduction of the linguistic system of meaning; I believe in the arithmetic system insofar as it has, strictly speaking, no meaning, insofar as it is an entirely self-referential system, determined by its own axioms, and one that therefore depends neither upon language nor upon reality for its validity. [3]. I believe in the plus sign [+], that is, in the principle of addition. ... I believe in enumeration insofar as it constitutes an infinite series not subject to summation. [4]. I believe in the equals sign [=], that is, in the principle of equivalence and in the principle of equality. ... [5] Believing in the principle of equivalence, I believe necessarily in the priniciple of infinite substitutability ... [6]. Believing in the principle of infinite substitutability ("this one is as good as the other"), I believe in cardinal numbers and not in ordinal numbers. The connection between the one and the many does not imply an ordered relation; there exists no privileged number, more determining than the others, to which the series would be subordinated. ... If "two and two are four," one = one, that is, any "one" equals any other "one." Thus the Donjuanian belief in arithmetic is atheological in that it deconstructs, above all, the hierarchical value of the "first." ... The Donjuanian deconstruction of the value of the "first," of the principle of an ordinal series, implies at the same time an general deconstruction of the very concept of beginning as a basis for identities. In this way Don Juan subverts the principle of genetic reasoning and the institution of paternity."[52]
Don Juan glaubt nicht an Gott, Don Juan glaubt an die Zahl, und man könnte ihn diesbezüglich sogar ein wenig zu gläubig nennen. Don Juans subversive (weil jeden Ursprung ausstreichende) Versprechensstrategie unterstellt den performativen Akt einer Serie / Wiederholung, die ihre Ausrichtung nicht durch die theologisch-hierarchische Ordinalzahl, sondern durch Kardinalzahl / rationale Zahl, Additions- und Gleichheitszeichen erfährt und so Unendlichkeit / unendliche Substitution / Bruchlosigkeit garantiert. Es ist m.a.W. eine spezifische Serie / ein spezifischer Wiederholungsbegriff, der Don Juans Versprechen / Verführung strukturiert, - einer, der sich von einem psychoanalytischen Begriff von Wiederholung durchaus unterscheidet. Don Juan kann vielleicht zusammenzählen, doch geht ihm das Paradox ab. Seine Additionskünste beschreiben die Bewegung der Unendlichkeit, seine Versprechen unterliegen einem Glauben an die unendliche / bruchlose Serie. Die Rechnung ist so angelegt, daß sie aufgeht bzw. - mit Nietzsche gesprochen - "ohne dass ein wunderlicher Bruch übrig bleibt"[53]. Im Unterschied hierzu ließe sich die psychoanalytische Wiederholung als Wiederholung des "wunderlichen Bruchs" bezeichnen, der - folgt man Nietzsches "Unzeitgemäßen Betrachtungen" - das Moment des Historischen / des Gedächtnisses, kurz: die Voraussetzung allen Versprechens markiert. ("So lebt das Thier unhistorisch: denn es geht auf in der Gegenwart, wie eine Zahl, ohne dass ein wunderlicher Bruch übrig bleibt, es weiss sich nicht zu verstellen, verbirgt nichts und erscheint in jedem Momente ganz und gar als das was es ist, kann also gar nicht anders sein als ehrlich."[54]) Wie das vergeßliche Tier lebt Don Juan unhistorisch. Don Juans Versprechensserien der Unendlichkeit leugnen die Endlichkeit / den Tod. Eben dieser aber - symbolischer Tod / Trauma der Signifikation / Reales - macht den wunderlichen Bruch / singulären Rest in jeder Äquivalenz / jedem Gleichheitszeichen / jeder Substitution. Als Figur des Historischen nimmt die psychoanalytische Wiederholung eben von den wunderlichen Brüchen des Versprechens ihren Ausgang, die sie performativ wiederholt.
Definiert die konstativ-moralische Auffassung das Versprechen / den performativen Akt über eine Einmaligkeit, die konträr zur Wiederholung steht und sieht sich derart von Don Juans lausigen Versprechungen brüskiert, begegnet mit Don Juans Additionsverfahren wiederum eine Auffassung von Wiederholung / Serie, die die Einzigartigkeit / Einmaligkeit negiert. Don Juans Liebesleben erschöpft sich in Nummern, und wenn Felman ihn ein Symptom der Perversion nennt, die jedem Versprechen / Performativ inhärent ist, markiert er zudem die Perversion, die dem Symbolischen innewohnt. Don Juan pervertiert das Symbolische, insofern er es verabsolutiert, womit seine Verführungen wiederum einer konstativen Sprachauffassung nahekommen, die mit dem Tod zugleich den Akt ausschließt.[55] M.a.W.: Don Juans wiederholte Versprechen geben wohl die skandalöse Haltlosigkeit jedes Versprechens / performativen Aktes zu denken, doch vollzieht Don Juan den Akt nicht, verspricht sich dem Anderen/anderen nicht in seiner Einzigartigkeit / verantwortet sich nicht vor dem nicht gehaltenen Versprechen (double-bind). Im Unterschied zu Don Juans allgemeiner Versprechens- bzw. Verführungsserie beschreibt der psychoanalytische Begriff der Wiederholung kein allgemeines Substitutionprinzip, sondern - dies seine Paradoxie - eine Figur des Singulären.
Serien der Liebe / Liebe in Serien
Die Auffassung, daß das Begehren - sei es Verführung, sei es Liebe - eine Sache der Wiederholung / Serie ist, verbindet Don Juan mit Freud. Welchen Begriff von Serie aber bringt Freud ins Spiel, wenn er schreibt, daß alle Liebe Wiederholung ist?[56] Wie läßt sich die Serie ausgehend von den Serien der Liebe / der Liebe in Serien psychoanalytisch denken? Freuds Wiederholungbegriff hantiert mit dem Trauma / dem Realen in seiner Nachträglichkeit / symbolischen Unverfügbarkeit. Von der paradoxen Dialektik des Wiederfindens beschreibt die Wiederholung eine Bewegung der Differenz. Wiederholung ist Wiederholung von Verlust (fort-da). Was es wiederzufinden / wiederzuholen / zu wiederholen gilt - das Ding als unvordenklich verlorenes, das Lacan "mit dem Wiederfinden, der Neigung wiederzufinden"[57] gleichsetzt - konstituiert sich im performativ-traumatischen (Wiederholung-)Akt der Symbolisierung / des Ur-teils[58], d.h. einzig in der Nachträglichkeit als vorgängiges / ursprüngliches und damit als strukturell zu verfehlendes. Wo aber das verlorene Objekt nachträglich konstruiert ist, wird das Wiederfinden zum Paradox / zur Verfehlung. Das Wiederfinden findet stets ein anderes wieder. Als immer schon anderes eröffnet das wiedergefundene Objekt die Suche erneut; und so ist es letztlich die Suche / der Wunsch, worauf die Wiederholung geht, ja, die/den sie, indem sie die Ausstreichung des ursprünglichen Befriedigungsobjektes wiederholt, unterhält.
Wo die Wiederholung (der performative Wiederholungs-Akt) die traumatische Ausstreichung des ersten / ursprünglichen Objektes vollzieht, artikuliert sie - und hier liegt der paradoxe Dreh / 'wunderliche Bruch' der psychoanalytischen Wiederholung im Unterschied zur Arithmetik Don Juans - zugleich mit der allgemeinen Substituierbarkeit der Liebesobjekte (Freud spricht von der Variabilität des Triebobjekts[59]) die Einzigartigkeit jedes wiedergefundenen / wiederentzogenen Objekts. Die Einzigartigkeit / Singularität des Objekts sistiert im seriellen Entzug des Dings, das das Objekt als wiedergefundenes / verfehltes konstituiert. Die Liebeswahl / Objektwahl, die in die paradoxe Doppelbewegung des Wiederfindens / der Wiederholung eingespannt ist ("Nicht ohne guten Grund ist das Saugen des Kindes an der Brust der Mutter vorbildlich für jede Liebesbeziehung geworden. Die Objektfindung ist eigentlich eine Wiederfindung."[60]), geht nicht auf das volle Objekt, sondern auf das wiedergefundene, d.h. immer schon in sich geteilte / sich selbst entzogene Objekt, auf die Einzigartigkeit des Fehlgehens / des Umwegs, auf das Partialobjekt / Objekt-Ursache-des-Begehrens. Anders gesagt: Der performative Wiederholungs-Akt der Liebeswahl konstituiert das Objekt als einzigartig-serielles Objekt. Das (paradoxe) Objekt der Wiederholung ist nicht - so wenig wie das der Liebe - das gesucht-erwartete Objekt, was Constantin Constantius' Berlinexperiment zeigt. Das Objekt (und zugleich sujet) der Wiederholung ist das (wieder-)gefundene, d.h. in der Singularität seines seriellen Entzugs gewählte Objekt, und wie sollte ein solches Objekt nicht voller Überraschungen sein?[61] Das Objekt der Wiederholung ist die Wiederholung des Objekts / der Wiederholungsakt der Wahl, der das Objekt als begehrtes bzw. als Begehren konstituiert / wiederholt / verfehlt. Einzigartig-seriell ist das 'Objekt' der Wiederholung der performative (Wiederholungs-)Akt, - traumatisch sich übersteigend und entzogen, zugleich zu viel und zu wenig, "immer zu früh oder zu spät"[62], und eben darin Liebeswahl / (ethisches) Versprechen. Ausgehend vom psychoanalytischen Begriff der Wiederholung läßt sich die Serie / Serialität in spezifischer Weise denken: als Paradox serieller Singularität / Singularität des Seriellen, bei dessen Rhetorik es sich durchaus um Liebesrhetorik handelt, von Derrida in den Worten formuliert: "Jedes-Mal-ein-einziges-Mal"[63].
[1] Sören Kierkegaard, Die Wiederholung, Hamburg, 1991, S. 7 (übersetzt von Liselotte Richter)
[2] ibid., S. 40
[3] ibid., S. 41
[4] ibid., S. 42
[5] vgl. hierzu: Elisabeth Strowick, Passagen der Wiederholung. Kierkegaard - Lacan - Freud, Stuttgart, 1999
[6] Sören Kierkegaard, Die Wiederholung, S. 23
[7] vgl. Jacques Lacan, Sem. XI (Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse), Weinheim, Berlin, 1987; ders., Das Seminar über E.A.Poes "Der entwendete Brief", in: Schriften I, Weinheim, Berlin, 1996
[8] zur Bedeutung der Wiederholung in der Rhetorik vgl. Wolfram Groddeck, Reden über Rhetorik. Zu einer Stilistik des Lesens, Basel, Frankfurt am Main, 1995, S. 119-156
[9] vgl. Gilles Deleuze / Félix Guattari, Anti-Ödipus, Kapitalismus und Schizophrenie, Frankfurt am Main, 1988; Gilles Deleuze, Differenz und Wiederholung, München, 1992
[10] Bettine Menke, Dekonstruktion - Lektüre: Derrida literaturtheoretisch, in: Klaus-Michael Bogdal (Hrsg.), Neue Literaturtheorien, Opladen, 1997, S. 260
[11] Paul de Man, Allegorien des Lesens, Frankfurt am Main, 1988, S. 40
[12] John L. Austin, Zur Theorie der Sprechakte (How to do things with Words), Stuttgart, 1994, S. 27
[13] ibid., S. 27
[14] ibid., S. 28/29
[15] ibid., S. 31
[16] ibid., S. 29
[17] ibid., S. 36
[18] ibid., S. 37
[19] "Was kann alles verunglücken? Eines scheint zunächst klar: Zwar haben wir uns vom Verunglücken von Handlungen, die mindestens teilweise aus dem Äußern von Worten bestehen, fesseln lassen ...; aber das Verunglücken ist eine Krankheit, der alle Handlungen ausgesetzt sind, die in allgemein üblichen Formen oder zeremoniell ablaufen müssen, also alle konventionalen Handlungen." (John L. Austin, Zur Theorie der Sprechakte, S. 41)
[20]"Damit man die Handlung ... mit dem Namen eines illokutionären Aktes ... bezeichnen kann, muß sie eine konventionale außersprachliche Handlung sein." (John L. Austin, Zur Theorie der Sprechakte, S. 137)
[21]"In Wirklichkeit handelt es sich nicht darum, eine äußerliche Begebenheit in Symbole zu übersetzen, sondern Sachverhalte auf ihre Natur eines symbolischen Systems zurückzuführen, dem sie sich einzig entziehen, um sich unkommunizierbar zu machen. Wie die Sprache ist das Soziale eine (und zwar dieselbe) Realität; die Symbole sind realer als das, was sie symbolisieren, der Signifikant geht dem Signifikat voraus und bestimmt es." (Claude Lévi-Strauss, Einleitung in das Werk von Marcel Mauss, in: Marcel Mauss, Soziologie und Anthropologie I, München, 1974, S. 25f.)
[22] Derrida vermerkt zum Begriff der "Konvention" bei Austin: "daß Austin genau an dieser Stelle nur jene Konventionalität zu berücksichtigen scheint, die den Umstand der Äußerung bildet, ihre kontextuelle Umgebung, und nicht eine gewisse innere Kontextualität dessen, was die Äußerung selbst konstituiert, all das, was man ... unter der problematischen Rubrik der "Beliebigkeit des Zeichens" zusammenfaßt; wodurch die Schwierigkeit ausgeweitet, verschärft und radikalisiert wird. Der "Ritus" ist keine Eventualität, sondern als Iterierbarkeit ein strukturelles Merkmal jedes Zeichens (marque)" (Jacques Derrida, Signatur Ereignis Kontext, in: ders., Randgänge der Philosophie, Wien, 1988, S. 307).
[23] John L. Austin, Zur Theorie der Sprechakte, S. 43/44
[24] ibid., S. 110, Anm. 26
[25] Jacques Derrida, Das Theater der Grausamkeit und die Geschlossenheit der Repräsentation, in: ders., Die Schrift und die Differenz, Frankfurt am Main, 1992, S. 373
[26] Jacques Derrida, Signatur Ereignis Kontext, S. 304
[27] ibid., S. 304/305
[28] ibid., S. 309/310
[29] Jacques Derrida, Limited Inc (nicht-autorisierte Übersetzung)
[30] Jacques Derrida, Mémoires, S. 125/126
[31] ibid., S. 127/128
[32] Shoshana Felman, The Literary Speech-Act. Don Juan with Austin, or Seduction in Two Languages, Ithaka, New York, 1983
[33] vgl. Sigmund Freud, Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, in: St.A., Bd. I, Frankfurt am Main, 1969, S. 50-73, 80-88
[34] vgl. Jacques Derrida, Préjugés. Vor dem Gesetz, Wien, 1992, S. 22-24
[35] vgl. Jacques Derrida, Falschgeld. Zeit geben I, München, 1993, S. 9-11
[36] Sigmund Freud, Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, in: St.A., Bd. I, S. 58. Freud spricht auch von 'psychischen' bzw.'seelischen Akten'.
[37] vgl. Paul de Man, Allegories of Reading. Figural Language in Rousseau, Nietzsche, Rilke and Proust, New Haven, Yale Univ. Press, 1979, 276f.), vgl. auch: Bettine Menke, Dekonstruktion. Lesen, Schrift, Figur, Performanz, in: Pechlivanos, Miltos / Rieger, Stefan / Struck, Wolfgang / Weitz, Michael, Einführung in die Literaturwissenschaft, Stuttgart, Weimar, 1995, S. 132ff.
[38] zur Blödheit des Signifikanten vgl. Jacques Lacan, Sem. XX (Encore), Weinheim, Berlin, 1991, S. 16-28
[39] Friedrich Nietzsche, Zur Genealogie der Moral, München, 1988, S. 45
[40] Shoshana Felman, The Literary Speech-Act, S. 10/11
[41] vgl. Paul de Man, Rhetorik der Persuasion, in: ders., Allegorien des Lesens, S. 164-178
[42] vgl. Jacques Lacan, Sem. VII (Die Ethik der Psychoanalyse), Weinheim, Berlin, 1996
[43] Jacques Derrida, Mémoires, S. 131
[44]"Wiederholung und Erinnerung sind dieselbe Bewegung, nur in entgegengesetzter Richtung. Denn was da erinnert wird, ist gewesen, wird nach rückwärts wiederholt, wohingegen die eigentliche Wiederholung nach vorwärts erinnert." (Sören Kierkegaard, Die Wiederholung, S. 7)
[45] Shoshana Felman, The Literary Speech-Act, S. 49
[46] ibid., S. 50/51
[47] zur strukturellen Verschränkung von Referentialität / Selbstreferentialität der Sprache im performativen Akt vgl. Shoshana Felman, The Literary Speech-Act, S. 79-81
[48] Judith Butler, Haß spricht. Zur Politik des Performativen, Berlin, 1998, S. 29
[49] Judith Butler, Körper von Gewicht, Frankfurt am Main, 1997, S. 300/301
[50] Judith Butler, Haß spricht. Zur Politik des Performativen, S. 61/62
[51] Molière, Don Juan, Stuttgart, 1998, 3. Akt, 1. Szene, S. 31-33 (aus dem Französischen übertragen von Arthur Luther)
[52] Shoshana Felman, The Literary Speech-Act, S. 36-38
[53] Friedrich Nietzsche, Unzeitgemässe Betrachungen. Zweites Stück: Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben, in: Friedrich Nietzsche, KSA I, München, 1988, S. 249
[54] ibid., S. 249
[55] "If I have used the expression: the unconscious is structured like a language, it is because I wish to maintain that a language is not language. There is something in language that is already too general, too logical." (Jacques Lacan, Le Symptôme, Scilicet, no. 6/7 [1976], p. 47, zitiert nach : Shoshana Felman, The Literary Speech-Act, S. 86)
[56]"... es ist wahr, daß diese Verliebtheit [Übertragungsliebe, E.S.] aus Neuauflagen alter Züge besteht und infantile Reaktionen wiederholt. Aber dies ist der wesentliche Charakter jeder Verliebtheit. Es gibt keine, die nicht infantile Vorbilder wiederholt." (Sigmund Freud, Bemerkungen über die Übertragungsliebe, in: St.A., Erg.bd., Frankfurt am Main, 1975, S. 227)
[57] Jacques Lacan, Sem. VII (Die Ethik der Psychoanalyse), S. 74
[58] vgl. Sigmund Freud, Entwurf einer Psychologie, in: G.W., Nachtragsband, Frankfurt am Main, 1987, S. 426f.
[59]"Es [das Objekt, E.S.] ist das variabelste am Triebe, nicht ursprünglich mit ihm verknüpft, sondern ihm nur infolge seiner Eignung zur Ermöglichung der Befriedigung zugeordnet. ... Es kann im Laufe der Lebensschicksale des Triebes beliebig oft gewechselt werden ..." (Sigmund Freud, Triebe und Triebschicksale, in: St.A., Bd. III, Frankfurt am Main, 1975, S. 86)
[60] Sigmund Freud, Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, in: St.A., Bd. V, Frankfurt am Main, 1972, S. 126
[61] vgl. diesbezüglich Lacans Ausführungen zur trouvaille in: Jacques Lacan, Sem. XI (Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse), S. 31
[62]"Warum ... ist die Urszene so traumatisch? Warum ist sie immer zu früh oder zu spät?" (Jacques Lacan, Sem. XI [Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse], S. 76)
[63] Jacques Derrida, Schibboleth. Für Paul Celan, Graz, Wien, 1986, S. 27