Programmierte Verführung: Cornelia Sollfrank testet Autorität im Netz
Managerin, Werbestrategin, Modell, Trickbetrügerin oder Diebin: Die Künstlerin Cornelia Sollfrank spielt alle Rollen, die ihr Erfolg versprechen. Auf ihren Beutezügen durch unsere Gegenwartsmedien klaut sie Bilder, Filme, Texte, Programme und jagt Servern und Dienstleistern das Nötige ab, um unsichtbare Prinzipien und Funktionsweisen von Netz und Warenwelt zu wiederholen. Was sich wie die modische Anwendung zeitgemäßer Autoren- oder Künstlermodelle anhört, erweist sich als kompliziertes Verwirrspiel aus Täuschung und Enttäuschung, Verführung und Verantwortung. Sollfranks künstlerische Programme verdoppeln unscheinbare Machtbeziehungen und verborgene Mechanismen, um Produktion, Anwendung und Verantwortung im Netz zu erproben. Die später verführten oder überführten UserInnen werden bei der Anwendung die Frage nach den Machern, den Verantwortlichen, nach den eigenen und anderen Zielen nicht mehr los.
Die Idee, einen Programmierer mit der Entwicklung eines ersten "automatischen" Netzkunstgenerators zu beauftragen, kam ihr, weil sie einen eklatanten Mangel an traditionellen Autoren vorhersah. Selbstverständlich erwartete sie, daß sich kaum Autorinnen von Netzkunst bei einer Ausschreibung der Hamburger Kunsthalle für einen Netzkunstpreis bewerben würden. Mit dem Generator schaffte sie schnelle Abhilfe. Sie ließ ihn wieder und wieder durchs World Wide Web "kriechen" und Fundstücke von irgendwelchen Webseiten zu neuen Seiten zusammenstellen. Diesen Erzeugnissen wies sie international gängige Frauennamen zu, mailte sie dann aus aller Welt an die Kunsthalle und spekulierte vermessen auf einen nächsten Automatismus: Im Kunstkontext bewirkt die Kombination von etwas und einem Namen, daß das etwas zum Werk und umgekehrt aus dem Namen ein Künstler wird.
Wenn diese Formel im 20. Jahrhundert nur bedingt für Frauen galt, dann sollte es Cornelia Sollfrank mit "Female Extention" erstmals gelingen, daß sie bedingungslos angewendet wurde. Alle 288 eingesetzten Frauennamen wurden anstandslos als Künstlerinnen anerkannt. Zwar sollte keine eine Auszeichnung erhalten, aber die Pressevertreter verkündeten stolz die hohe weibliche Beteiligung als besonderen Erfolg. Das nun ist symptomatisch. Sicherlich hatte der auf die Suchmaschinen Lycos und Excite ausgerichtete Generator für unterschiedliche Suchbegriffe auch unterschiedliche Schrift-Bild-Mischungen erstellt und jede eingereichte Seite sah anders aus. Aber der fachmännischen Kunstjury hätte auffallen müssen, daß alle Web-Collagen nach einem einzigen Programm gestrickt waren. In Kunst und Kunstgeschichte nennt man so was auch "ästhetisches Programm" ‑ und sucht danach. Daß die Hamburger Experten die signifikante Ähnlichkeit der Seiten übersahen, mag sicher auch daran liegen, daß sie künstlerische Arbeit in "neuen Medien" mit Unbedarftheit oder mit der Betriebsblindheit betrachteten, mit der man Fragen der Autorenschaft, der Zuschreibung und Verantwortung im "Netz" immer wieder begegnet. Mehr jedoch scheinen hier die weiblichen Autorennamen gewirkt zu haben. Der Jury entging das Bauprinzip der Seiten offenkundig hinter einem Künstlerinnenbild, das unverändert mit Epigonentum, Nicht-Originalität und Reproduktion verknüpft bleibt. Ein alter Hut, auch wenn ihn manche für die Netzkunst modisch aufgeputzt als neue Utopie verkaufen wollen.[1]
Wie auch immer, Cornelia Sollfranks dreiste Verwendung wirksamer Automatismen trifft Männer wie Frauen gleichermaßen böse. Der unerkannt gebliebene Überschuß an Nicht-Autorinnen tut ebenso nachhaltig weh wie der reale Mangel an Autorinnen. Und die Verantwortung hierfür ist geteilt. Sie liegt bei denen, die fraglos (ästhetische) Programme anwenden oder sich von ihnen anwenden lassen, anstatt ihre Bauprinzipien, Linien und Ziele zu erkunden. Wie bei denen, die in lieben alten Gewohnheiten verfangen mit den gängigsten Programmen nicht zu brechen vermögen und bloße Anwendung schon als Produktion mißverstehen. Die blindlings Ziele erfüllen, anstatt für eigene Ziele andere Programme zu entwerfen.
Deshalb hat Sollfrank nun ein nächstes Experiment gestartet, das UserInnen die Neuordnung des Konzepts Autor im Netz erproben läßt. Diesmal fungiert sie als zwielichtige, gewinnsüchtige Auftraggeberin von mehreren Programmierern, deren Programme in Anwendung immer neue Kunstwerke zu produzieren versprechen. Da auch die Idee für den frei verfügbaren Kunstgenerator geklaut ist, hat Sollfrank bereits die Webpage ihrer drei neuen Generatoren von einem anderen Generator gestalten lassen und Links zu weiteren Grafik-, Webpage-, Text- und Insult-Generatoren gesetzt.
Die Netzkunstgeneratoren arbeiten nach demselben Schema: In ein erstes Feld werden ein oder mehrere Suchbegriffe eingegeben und in ein zweites Feld der echte oder erfundene Autorenname. Während Generator I und III dann in Windeseile jeweils eine Seite mischen, der erste textorientierter, der zweite bildorientierter, wird Generator II nach einer halben Stunde Arbeit eine komplette Homepage mit eigenen Links vorlegen. Alle drei sprechen verschiedene Suchmaschinen an und Generator II basiert auf einer sogenannten Dada-Engine. Vier Programmierer haben für denselben Auftrag ziemlich verschiedene Programmlösungen vorgelegt.
Angesprochen vielleicht durch die beiläufige Ästhetik und in einer reichlich diffusen, passiven Kreativität lassen wir die virtuellen Kunstmaschinen suchen, klauen und mischen. Das macht Spaß und nicht von ungefähr sind die Archive der drei Generatoren in kurzer Zeit schon beachtlich angewachsen. Täglich wenden sich neue BesucherInnen an die automatische Kunstproduzenten, die selbst für dieselben Begriffe stets neue, aktuelle Collagen oder Seiten finden. Und jede/r UserIn der Netzkunstgeneratoren darf sich für das wachsende Archiv als Autor, Autorin von Seiten behaupten, die nach seinem/ihrem Input generiert wurden. Allerdings bleiben die meisten lieber anonym.
Gleichzeitig assistieren alle AnwenderInnen der Künstlerin, die Bild um Bild unter ihrem Namen sammelt, manches dann belichtet, hinter Glas rahmt und an Galeriewände hängt. So zu sehen in Bremen, in der städtischen Galerie. Wenn hier ihr Name unter den automatisch generierten Bildern steht, folgt das zunächst dem Gestus Duchamps und der Bosheit von Broodthaers. Doch die Anlage des Generatorenprojekts ist paradoxer, wenn neben der Definitionsmacht des institutionellen Rahmens die Rollen der AnwenderInnen in Anwendung vorgeführt werden. Einerseits wird mit bestehenden Kategorien und Hierarchien gebrochen, andererseits aber bleiben sie hartnäckig installiert und holen uns hinterrücks ein.
Nebenbei stellen wir fest, daß wir (Kunst-)Produktion schon längst mit Wiederholung, Diebstahl, Zitat, Anwendung und Mischung gleichgesetzt haben. Und daß wir am liebsten für nichts die Verantwortung übernehmen, gerne anonym bleiben. Bereitwillig fügen wir uns den jeweiligen ästhetischen Vorstellungen verschiedener Programmierer. Wenn die Ergebnisse am Ende ähnlich bleiben und unsere anfängliche Freude über die bunten automatischen Hervorbringungen in Langeweile oder Verblüffung umgeschlagen ist, dann ist es bereits zu spät. Da haben wir schon den nächsten Programmschritt erfüllt. Wir haben Inputs geliefert und Ergebnisse erzielt, die sich die Künstlerin aneignen wird. Diesen Hinweis gibt ihr aktueller Marketingspruch: A smart artist makes the machine do the work. Doch verschweigt sie die ganze Wahrheit: A smart artist orders programs which make the user do the work. Die Generatoren und ihre UserInnen arbeiten brav am Mythos und mehren Cornelias Sollfranks Ruhm.
Im Hintergrund hören wir sie lachen, denn jetzt haben wir das ganze künstlerische Programm erfüllt. Es verspricht Spiel und Spaß, doch es macht uns unweigerlich zu Komplizen einer Künstlerin, die mit unserer Hilfe unendlich viele Bilder aus dem Netz einsammelt. Später einmal wird sie die automatisch generierten Ergebnisse zu den von uns gelieferten Stichworten in einem Salon präsentieren. Selbstverständlich unter ihrem Namen. Für die, die ihr dabei helfen wollen: Test it and go: Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden..
Ach übrigens: Zur Zeit ist Cornelia weltweit auf der Suche nach Hackerinnen. Da wir die unverhältnismäßigen Verhältnisse im Netz kennen, verwundert es nicht, daß sie bislang kaum eine gefunden hat.[2] Wir dürfen gespannt sein, welche programmatische Lösung sie für diese Mangelerscheinung finden und präsentieren wird. Außerdem dürfen wir gespannt sein, was aus dem Hype um CYBERFEMINISMUS wird, den sie als eine Gründerin des Old Boys Network (OBN) mit ausgelöst hat. Hauptaufgabe dieses Netzwerks, neben der Suche nach produzierenden, schreibenden und programmierenden Frauen, ist die weltweite Promotion des Begriffs CYBERFEMINISMUS. Nachdem wir bislang mit vielfältigen Mitteln und unzähligen Wahrheiten über CYBERFEMINISMUS umgarnt wurden, ahnen wir, daß da bald irgendwas passieren wird (Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden.).
Ute Vorkoeper, Hamburg, November 1999