Dass es mit Hand einiges auf sich hat, liegt schnell auf der Hand. Natürlich steht sie als Metaphernspenderin für das Begreifen der Welt, die Berührung mit Fremdem oder für die Vermitteltheit von Nähe zur Verfügung. Narrenhände beschmieren Tisch und Wände, das geht leicht von der Hand und manchen auch aus der lamäng (la main).
Die Hand: our closest cyborg.
Das Bild der Hand verselbständigt sich schnell - in optischen Medien Objekt der Malerei und Fotografie (etwa in bedeutungsvollen Gesten), ist sie vor allem im Film oft als abgetrenntes, eigenständiges Lebenwesen zu sehen, als Parasit wie in Alien, als Mörder, als Symbol...
Dagegen ist der gefühlte Körperteil Hand der taktile Nabel der Wahrnehmung: der Weltberührung. Differenzierte Feinmotorik, Sensoren für Form, Oberfläche und Temperatur vermitteln Grösse, Entfernung und Beschaffenheit der nahem Umgebung in einer Weise, die den Sehsinn zum Fernsinn werden lässt und dagegen für grösste Direktheit steht - mit der Berührung von Ekligem ebenso bedrohlich wie mit Zärtlichkeiten intim.
Die Hand ist immer paarweise. Davon hängen nicht nur Raumwahrnehmung und Propriorezeption ab, sondern auch eine Vorstellung von Spiegelbildlichkeit und Symmetrie, deren Mangel erst ihre selbstverständliche Bedeutsamkeit markiert, erkennbar etwa in den Stereotypen der verrückten Wissenschaftler oder der bösen Piraten, denen eine Hand fehlt.
Die Hand zu sehen und die Hand zu fühlen ist beschreibbar in technischen Modi, und das liegt nahe, ist die Hand doch traditionell als Werkzeug gefaßt worden, Werkzeug des menschlichen Geistes, etwa Diener des Handwerkers, ausführendes Organ des Künstlers, räumlich ein von der Körpermitte weit entfernbares Teil (mit ausgestreckten Armen) und insofern eine ganz andere Grenze zum 'Aussen' als die Haut, die nicht halb so sehr im Sichtfeld liegt, die den Körper umschliesst und durchlässiger ist. Hand macht den intentionalen Bezug zur Welt. Ihr Gebrauch, ihre Bewegungen, ihr Schmuck sind kulturell kodiert.
Die Beschaffenheit der Hand definiert in evolutionärer Perspektive die Grenze von Mensch und Tier: Es ist die Stellung des Daumens, die eine der Unterscheidungen des homo sapiens vom Menschenaffen ausmacht (erst der opponierte Daumen ermöglicht komplexeres Greifen, also Werkzeuggebrauch).
In Kulturgeschichte und Anthropologie taucht die Hand z. B. in der Höhlenmalerei auf: die frühesten zeigen Abdrücke von Händen (genauer: Farbe, die um eine auf den Fels gelegte Hand aufgetragen wurde). Wie schon diese frühesten, so wurden zahlreiche spätere neue Bildtechniken mit Abbildungen von Händen eingeführt (Mareys physiologischer Film "Öffnen und Schliessen einer Hand" von 1888; die ersten Röntgenbilder u.a.), und auch die Robotertechnik muss sich im praktischen Einsatz an den Möglichkeiten eines komplexen Zugriffs (wie mit der dreifingrigen Roboterhand von Cog am MIT) bewähren. Wenn die Geschichte der Schrift auf Listen von Einkerbungen zurückgeht, die dem Zählen dienten, so ist auch dieses Modell wiederum dem Abzählen an den Fingern abgeguckt. Und als neue, avancierte Mensch-Computer-Interfaces schliesslich wird neben Sprach- und Mimikeingabe auch Input von Handgesten entwickelt, seien sie aus einer digitalen Videoaufzeichnung "herausgelesen" oder mit einem Datenhandschuh eingegeben. Joysticks, Gloves mit taktilem Feedback und andere haptische Rückkoppelungssysteme eröffnen komplexere Arbeits-, Kommunikations- und Modellierungs-möglichkeiten, eine Ausdifferenzierung von Repräsentations- und Wahrnehmungsmodi - durch ihren Bezug auf die Hand. Hand wird zum Umschlagplatz von hoch differenzierten, aber ebenso hoch automatisierten und daher naturalisierten Techniken.
In diesem Spannungsfeld liegen ebenfalls Geste, Gebärde und Gebärdensprache. Sowohl lautsprachbegleitendes Gestikulieren als auch rituell festgelegte Handbewegungen (etwa in religiösen Praktiken) als auch das Repertoire in Rhetorik oder Theater drehen sich zwischen Bildern von Affekten und gesellschaftlicher Vereinbarung ('man zeigt nicht mit dem Finger') umeinander. Die Gebärdensprache der Gehörlosen stellt die lautsprachbasierte Einteilung von 'natürlicher Körpersprache' und 'arbiträren Zeichen' gerade mit ihrer strukturellen Vielschichtigkeit, die sich u.a. durch pantomimische Anteile in kein Raster sperren lässt, in Frage: hier werfen Bilder von Händen ganze Denktraditionen durcheinander.
'Handarbeit' erinnert ebenso an filigranes Stickwerk der gut erzogenen Dame wie an kapitalistische Ausbeutungsmechanismen; das 'Handwerk' gilt als golden in männlicher Meisterhand, während das 'Kunsthandwerk' eher geringschätzig konnotiert wird mit weiblicher Bastelei, Praxis- oder Lokalbezug von geringer Reichweite - Gebrauchsfolklore ohne den Geist, der noch die Hand des Künstlers durchfloss? Ein Dualismus, der angesichts "des Proletariats" so noch nie ganz aufging und der in der "Informationsgesellschaft" erneut überprüft werden muss. Trotzdem ein Dualismus, der sich bis ins Computerzeitalter nicht abschütteln liess, wo die ersten "Computer" diejenigen Frauen bezeichnete, die von Hand bestimmte Schalter umlegten, um mechanisch zu "programmieren".
Ist die Hand eigentlich auch ein Sexualorgan? In anderer Weise als Haut oder Lippen? Und wäre das für Lesben anders zu bestimmen als für Heteras?
Hand ist jedenfalls Medium: etwa der Kulturtechnik Schrift. Im 'Automatischen Schreiben' Ort der Übersetzung fremder Stimmen oder innerer Wahrheiten in abstrakte Codes. Durch das Handlesen Fläche für die Offenbarung zukünftiger Liebes- und Lebenslinien. Mit Zeichenstift oder Pinsel Verlängerung der inneren Vision des künstlerischen Genies. Beim Tippen der traditionell weibliche Ort der Transposition des Diktats in Lettern.
Und Hand ist eines der vielen möglichen Codewörter, um die Verwobenheit unserer Begriffe von Kultur und Natur, von Technik und Körper usw. zu untersuchen. Hand drauf.
Ulrike Bergermann |